Glasklar
deshalb, doch dann schüttelte er den Kopf. »Und wenn schon!«
Mariella lächelte. Sie schaute ihn herausfordernd an. Linkohrs Gefühle begannen sich vollends seines ganzen Körpers zu bemächtigen. Wie sollte er in diesem Augenblick des allergrößten Glücksgefühls auch noch an etwas anderes denken? Er streichelte mit seinen Händen über die sanfte Seide des Kleidchens, das so kurz war, dass er mühelos die Haut ihrer Schenkel berühren konnte. Er spürte Mariellas heißen Atem.
33.
Häberle hatte sich im Vorbeifahren bei einem Metzger einen Leberkäswecken geholt, um ihn während der Fahrt zum ›Boßler‹ zu essen. Dass dies nicht gesund sein konnte, hatte ihm seine Frau Susanne schon viele Male gesagt. Doch an Tagen, an denen möglichst viele Erkenntnisse zusammengetragen werden mussten, hätte er während einer Mittagspause ohnehin nicht abschalten können. Der Weg zu der höchsten Erhebung der Albkante in seinem Zuständigkeitsbereich war ihm vertraut. Abseits der Autobahn, die sich hier am Aichelberg aus dem flachen Neckarland zur Hochebene schlängelte, zweigte von der parallel führenden Landstraße ein asphaltierter Feldweg ab. Häberle war bei seinen sonntäglichen Wandertouren schon oft über ihn zum ›Boßler‹ hinaufgegangen. Erst einmal hatte er dort dienstlich zu tun gehabt – als vor wenigen Jahren ein Rettungshubschrauber aus völlig ungeklärten Gründen am Steilhang zerschellte. Damals hatten die ›Naturfreunde‹ ihr Haus, das normalerweise nur an den Wochenenden bewirtschaftet war, kurzfristig für die polizeiliche Pressekonferenz geöffnet.
Der ›Boßler‹ galt seit Langem als heimtückische Fliegerfalle. In der Nachkriegszeit hatte es an diesem Berg eine ganze Reihe von Abstürzen gegeben – vom Militärjet bis zum Sportflieger. Einige Male war den Piloten vermutlich das schlechte Wetter zum Verhängnis geworden. Sie hatten sich an der tiefer liegenden Autobahn orientiert, ohne zu beachten, dass sich seitlich davon die Albkante erhob.
Nachdem Häberle mit seinem Audi den almwiesenartigen Hang erklommen hatte, mündete der Asphalt in einen geschotterten Fahrweg, der sich links des bewaldeten Abhangs weiter nach oben wand. Der Chefermittler grüßte einige Wanderer, an denen er langsam vorbeifuhr, um sie nicht allzu sehr einzustauben. Wenig später sah er vor sich am Ende eines Wiesenhangs das ›Boßlerhaus‹ stehen. Der Weg beschrieb noch ein paar Kurven, und dann war die schmale Parkfläche vor dem Gebäude erreicht, wo bereits zwei Kleinbusse mit Frankfurter Kennzeichen parkten. Die Bahnvertreter waren also schon da, dachte Häberle und blickte auf die Uhr im Armaturenbrett. Es war kurz vor 14 Uhr.
Er zerknüllte die Alufolie und warf sie in den Fußraum des Beifahrersitzes. Dann stieg er aus, strich sich sein zerknittertes Hemd glatt und ging ins kühle Haus. »Tag, die Herrn!«, rief er einem halben Dutzend Männer zu, die sich an einem der Tische über ausgebreitete Pläne beugten.
Hinterm Tresen stand ein älterer Herr, dem Häberle zuerst die Hand schüttelte. »Ungewohnte Zeit an einem Werktag«, lächelte er ihm zu und vermutete, dass er ein aktives Mitglied der ›Naturfreunde‹ war, die dieses Haus seit Jahr und Tag ehrenamtlich bewirtschafteten.
Nachdem Häberle auch die Vertreter der Bahn begrüßt hatte, die ihm namentlich vorgestellt wurden, setzte er sich neben den Krawattenträger, der sich als ›Knappenrot‹ zu erkennen gegeben hatte. Er trug ein leichtes Jackett, hatte die Krawatte gelockert und machte auf den Ermittler sogleich den Eindruck eines Wichtigtuers. Sein Alter schätzte er auf Mitte 40, die praktische Erfahrung gleich null.
Knappenrot deutete auf die mehrschichtig übereinanderliegenden Pläne: »Nur damit Sie mal einen Eindruck kriegen, womit wir uns befassen.«
Häberle gab sich interessiert und nickte anerkennend.
»Die Herren hier und ich sind heute hier raufgefahren, um uns ein Bild von den topografischen Verhältnissen zu machen. Manchmal ist es sinnvoll, die realen Gegebenheiten in Augenschein zu nehmen – und sich nicht nur auf theoretische Erkenntnisse am Computer zu verlassen.«
Wie recht der Mann doch hat, durchzuckte es Häberle. Die Frage war nur, wie ehrlich Knappenrot dies meinte. Wenn es darauf ankam, so schätzte er ihn ein, würde er ja doch nur am grünen Tisch seine Entscheidungen treffen und von den Kopfnickern Zustimmung erwarten.
»Ich geh mal davon aus …«, wandte sich Knappenrot an den Kriminalisten,
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