Glasklar
heute nicht ganz klar, wie man ein so tiefes Loch senkrecht nach unten graben konnte.
»Dass es eine riesige Baustelle wird, kann ich mir vorstellen«, sagte er schließlich. »Aber selbst wenn man sich kritisch dazu äußert, muss man sich doch nicht gleich Todfeinde einhandeln.«
»So gesehen, natürlich nicht«, entgegnete Sander. »Aber wenn es um Großprojekte geht, um Millionenaufträge, um Einfluss und um ein Prestigevorhaben der Politik …«, er suchte nach einer vorsichtigen Formulierung, obwohl dies gegenüber Häberle nicht nötig gewesen wäre, »… da wird sicher nicht nur in Hinterzimmern von Gaststätten diskutiert.«
Watzlaff nickte und gab zu verstehen, dass er kapiert hatte. Sie mussten also in den entsprechenden Kreisen recherchieren. Da würden sich manche in den oberen Etagen gewiss wieder mächtig freuen. Nachdem Häberle nicht sofort eine Frage nachschob, ergriff der Revierleiter das Wort: »Und wie haben Sie den gestrigen Abend erlebt?«, wandte er sich an Doris, die das Gespräch bisher wortlos verfolgt hatte. Sie war auf diese Frage nicht gefasst gewesen, hatte aber schnell eine Antwort parat: »Ich kenn Werner nur flüchtig. Und gestern Abend hab ich mit ihm außer einer Begrüßung nichts geredet.«
»Absichtlich nicht – oder war das so üblich?«, forschte Häberle weiter.
»Das hat sich so ergeben. Ich kenne nicht alle Schulfreunde von Georg. Nur den engeren Kreis, der sich öfter trifft.«
Häberle dachte nach. »Es wurde gegrillt«, sagte er langsam, »und Herr Bayreuter hat die Utensilien und was man so braucht, mit dem Geländewagen hinaufgefahren. Wer hat dann das Fleisch und die Würste mitgebracht?«
»Einiges hat Uli besorgt«, erklärte Sander, fügte aber an: »Ein paar von uns hatten aber selbst etwas dabei. Soweit ich das weiß.«
»Um aber sein Fleisch zu würzen, brauchte man doch eine Ablage oder Ähnliches – wie wurde das Problem gelöst?«
»Wir hatten ja eine Biertischgarnitur, die wir dafür genutzt haben.«
»Auf …«, Häberle sah Sander und seine Partnerin nacheinander an, »ja, auf diesem Tisch hat man dann das Grillgut sozusagen zubereitet?«
Watzlaff beobachtete die beiden mit zusammengekniffenen Augen. Er kratzte sich im grau melierten Oberlippenbart. Natürlich hätte er wetten können, dass Sander die Absicht, die hinter diesen Fragen steckte, längst durchschaut hatte.
»Uli hat das alles vorbereitet«, äußerte Sander und mimte den Verständnislosen. Plötzlich fühlte er sich noch mehr in die Rolle des Unterlegenen gedrängt. Das war er nicht gewohnt. Viel lieber hätte er jetzt selbst ein paar Fragen gestellt. Zum Beispiel, ob es schon einen Verdächtigen gab. Oder ob eine Pressekonferenz geplant sei. Denn er würde zweifelsohne heute noch einen größeren Artikel schreiben müssen.
»Uli ist Herr Bayreuter«, stellte Häberle für sich klar, während Sander nickte. »Wenn auf dem Tisch also Fleisch und Würste herumlagen, dazu vermutlich Gewürze und Besteck, sicher auch Pappteller, denk ich mal«, dozierte der Chefermittler weiter, »dann könnte dort doch auch ein Küchenmesser gelegen haben.«
Sanders Puls begann zu rasen. Seine Partnerin sah die drei Männer nacheinander an. Es herrschte plötzlich eine beklemmende Stille. Nur das Zwitschern einiger Vögel drang durch das gekippte Fenster herein.
Sander lehnte sich zurück und spürte das harte Holz in seinem Rücken. »Das kann sein, ja«, sagte er endlich, »da ist wohl ein Küchenmesser gewesen, so eines mit rotem Plastikgriff.« Er suchte Blickkontakt mit Doris, was auf Häberle einen hilflosen Eindruck machte. Die Frau zögerte einen Moment und stimmte dann zu.
8.
Uli Bayreuter und Gustav Brandt waren in die rustikale Gaststätte des Albvereinshauses hinübergegangen, wo inzwischen der sonntägliche Andrang deutlich zugenommen hatte. Sie begrüßten kopfnickend die Wirtin und eine Angestellte, die hinter dem Tresen beschäftigt waren, und setzten sich in den Nebenraum an den einzig freien Tisch. »Sag mal«, begann Bayreuter das Gespräch und legte seinen Hut neben sich auf die Bank, »hast du auch den Eindruck, die verdächtigen einen von uns?«
»Das ist doch normal«, gab sich Gustav Brandt verständnisvoll. Er war, wie auch sein Schulfreund, um Ausgleich und um Sachlichkeit bemüht. Diese Einstellung, verbunden mit einer tief verwurzelten christlichen Überzeugung, hatte ihn und Bayreuter ein ganzes Leben lang bisher geprägt und ihnen ein positives Lebensgefühl
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