Glasscherbenviertel - Franken Krimi
an ein Wunder, dass Hackenholt die vielen Stunden in dem eisigen Transporter auf dem Autobahnparkplatz überlebt hatte. Trotzdem hatte die Kälte ihren Tribut gefordert: Sie hatte dazu geführt, dass seine Extremitäten minderdurchblutet worden waren, wodurch er drei Zehen am rechten Fuß einbüßte.
Dass er derart glimpflich davongekommen war, hatte er Dr. Puellens energischer Einmischung zu verdanken. Der Rechtsmediziner hatte sich im Krankenhaus einen erbitterten Streit mit dem behandelnden Chefarzt geliefert, der dem Patienten den halben rechten Vorderfuß amputieren wollte, um hinsichtlich des abgestorbenen Gewebes auf der sicheren Seite zu sein und Komplikationen zu vermeiden. Puellen, dem klar war, dass ein Kripobeamter mit Fußprothese seinen Job an den Nagel hängen konnte, hatte so lange interveniert, bis Hackenholt selbst in der Lage war, die Einwilligung zur Operation ausschließlich für die Amputation der Zehen zu erteilen. Was ihm schon schwer genug fiel.
In den vergangenen Wochen hatte er Schritt für Schritt das Laufen wiedererlernen müssen, wobei ihm das eigentliche Gehen keine großen Schwierigkeiten bereitete – wenn man mal davon absah, dass sein Gang in der ersten Zeit an den einer Ente erinnerte. Das Problem war vielmehr sein Gehirn: Es suggerierte ihm pausenlos, dass etwas fehle und er deswegen nicht laufen könne. Auch plagten ihn nach wie vor Schmerzen in den nicht mehr vorhandenen Zehen. Ein Umstand, der laut Dr. Puellen jahrelang andauern konnte.
Sophie hatte sich von all den schockierenden Nachrichten langsam, aber sicher erholt. Die Übelkeit, die ihr am Anfang der Schwangerschaft so zugesetzt hatte, hatte sich in nichts aufgelöst, und vor allem in den letzten vier Wochen war sie richtiggehend aufgeblüht: Ihr Bauch wölbte sich, während das Baby fröhlich um sich trat und boxte.
Wünnenberg, Stellfeldt und Baumann hatten Hackenholt in den vergangenen Wochen hinsichtlich der Geschehnisse im Kommissariat ständig auf dem Laufenden gehalten, aber auch Yvonne Kraus, die Eichstätter Kollegin, hatte ihn nicht vergessen: Eines Nachmittags rief sie ihn an, um ihm zu berichten, dass Rojin Barzani Deutschland verlassen würde. Ganz wie Bülent Alkan und sie es vorgehabt hatten, um gemeinsam in Frieden und ohne Bedrohung leben zu können. Allerdings wanderte Rojin nicht, wie ursprünglich geplant, nach Österreich aus, sondern in ein skandinavisches Land. Zu ihrer Familie unterhielt sie weiterhin keinerlei Kontakt, Yvonne Kraus war allerdings zu Ohren gekommen, dass die Brüder nach wie vor nach ihr suchten und es geschafft hatten, ihre Spur bis nach Eichstätt zu verfolgen.
Einen positiven Gegenpol dazu bildete die Familie Alkan. Damla Ünlü konnte ihren Eltern erfolgreich klarmachen, welches Leid ihr Onkel Köksal Aguzüm mit seinem radikalen Gedankengut über sie alle gebracht hatte, woraufhin die Familie endgültig mit ihm brach. Da der Vater für viele Jahre im Gefängnis sitzen würde, führte Damla die Schneiderei zusammen mit ihrer Mutter weiter, die mittlerweile sogar einen Deutschkurs besuchte, was ihr zuvor von ihrem Bruder verwehrt worden war.
In puncto Ermittlungen Schweinsberger/Sobolew erhielt die Nürnberger Polizei gleich in mehrfacher Hinsicht Unterstützung durch die nordrhein-westfälischen Kollegen. Gemeinsam mit den Beamten vom LKA in Düsseldorf bildeten Detlef Schuster und die Mitarbeiter vom hiesigen Kommissariat für Computerkriminalität eine erweiterte Ermittlungskommission, der es gelang, Toscha Sobolew als Drahtzieher eines international agierenden Rings zu identifizieren, der im großen Stil Onlinebanking-Transaktionen manipuliert hatte. Die Auswertungen erfolgten in enger Kooperation mit den estnischen und britischen Strafverfolgungsbehörden, die nach Hinweisen der deutschen Kriminaler ihrerseits Recherchen gegen dortige Verdächtige einleiteten und damit wesentlich zur Zerschlagung der Gruppe beitrugen. Das Ermittlungsverfahren wuchs sich zu einem der umfangreichsten gegen Verbreiter von Schadsoftware und Online-Betrüger aus, die es in der Bundesrepublik bislang gegeben hatte.
Die Hintermänner hatten über vierhundertsechzig manipulierte Überweisungen in Höhe von mindestens eins Komma zwei Millionen Euro ins In- und Ausland getätigt, nachdem sie zuvor die PC s der Geschädigten mit Echtzeit-Trojanern verseucht hatten.
Durch die umfangreichen Auswertungen von Servern und der Kommunikation zwischen den Tatverdächtigen gelang es den
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