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Glattauer, Daniel

Glattauer, Daniel

Titel: Glattauer, Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Weihnachtshund
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Birnenkuchen mag.« Dies
war unfairerweise sehr eindeutig formuliert. »Mit dem ist es schon vorbei«,
sagte Katrin. Das war keine schlimme Lüge, oder? »Zahlt sich nicht aus, über
ihn Worte zu verlieren«, fügte sie an. Jetzt war sie stolz auf sich, so rasch
zur vollen Wahrheit gelangt zu sein.
    »Und du?«,
fragte sie, um ihren »Exfreund« endgültig zu tilgen. »Bei mir ist die Sache komplizierter«,
erwiderte Max niedergeschlagen, und er begann, mit den Daumenkuppen die der
Mittelfinger zu reiben, als würde er dazwischen etwas zerbröseln lassen. »Aber
das erzähle ich dir ein anderes Mal«, sagte er und schaute demonstrativ auf
die Uhr. Es musste etwa 5 Uhr sein. Draußen war es schon finster. Katrin kroch
ein flaues Gefühl in den Magen. »Hast du noch etwas vor?«, fragte sie
professionell freundlich, als wäre es ihr gleichgültig. »Ja, am Abend kommt
eine Freundin zu Besuch«, sagte Max. Katrin vermeinte die Spitzen Dutzender
Stachelbeeren an ihren Magenwänden zu spüren.
    »Ist sie
die komplizierte Sache?«, fragte sie. »Natalie? Nein. Sie ist die
unkomplizierte Ausnahme von der komplizierten Sache«, erwiderte Max und
lächelte wie jemand, der wusste, dass für niemanden lustig sein konnte, worüber
er lächelte und wie er lächelte. »Was habt ihr für ein Verhältnis?«, fragte
Katrin. (Was war in sie gefahren, solche Dinge zu fragen? Was war das für ein
Ton?) »Ein sexuelles«, erwiderte Max leidenschaftslos und schaute ihr so tief
in die Augen, dass er ihren Sekunden Verfall bemerken musste. - Das war keine
gute Antwort, nein, das war wirklich keine gute Antwort, dachte Katrin. »Aber
ganz anders, als du denkst«, ergänzte Max hastig. Zu spät. Katrin dachte nicht
mehr.
    Sie spürte
einen Befehl in ihren Beinen, die Wohnung auf die schnellstmögliche
unverdächtige Weise zu verlassen. »So spät ist es schon?«, rief sie geschockt
im Aufspringen und tastete sich mit Gesprächsfetzen bis zum Ausgang. »Willst
du schon gehen?«, fragte Max. Sie sah ihn nicht mehr an. Seine Stimme klang
ängstlich, aber sie hatte jetzt nicht die Muße, darüber nachzudenken. Sie
befürchtete einen Gefühlsausbruch. Sie wusste nicht einmal, was für ein Gefühl
es war, aber sie spürte die Bereitschaft, es eskalieren zu lassen. Bei der Tür
umarmte er sie und gab ihr zwei kurze trockene Küsse auf die Wangen. Sie taten
ihr weh. »Wann sehen wir uns wieder?«, fragte er. »Ich melde mich«, erwiderte
sie mit eiskalter Freundlichkeit. »Danke für Kuchen und Kaffee«, setzte sie mit
grausamer Höflichkeit nach. »Bitte sehen wir uns bald wieder, ja?«, rief ihr
Max nach. Sie reagierte nicht. Sie ließ die Steintreppen unter ihren
Schuhabsätzen in abnehmender Lautstärke poltern. Es sollte nach »Das war es
dann wohl« klingen.
    Draußen
schneite es noch immer dicht. Katrin vermummte mit dem Schal ihr Gesicht und
begann durch den Esterhazypark zu laufen. Er hatte also ein unkompliziertes
sexuelles Verhältnis. Gratulation! An ihren Beinen klebten schwere Klötze. Sie
musste sie abschütteln. Sie musste schneller laufen. Sie musste sich hinter
sich lassen. Sie musste von sich Abstand gewinnen. Sie spürte ein Stechen in
ihrer Brust. Stachelbeeren, überall Stachelbeeren in ihr. Der Schal rutschte
ihr unters Gesicht. Die Luft war grausam kalt. Keine Aussicht auf Wärme. Die
orangerote Eckcouch war wohl schon wieder besetzt. Gratulation, Katrin, gut
gemacht, gut erwischt!
    Die
Flocken peitschten und zerplatzten in ihrem Gesicht. Stachelbeeren, schwere,
spitze, überreife Stachelbeeren. Aha, ein unkompliziertes sexuelles
Verhältnis, aber ganz anders, als sie dachte. Sie dachte nicht, ihre Augen waren
nass von außen und aufgeweicht von innen. Sie brannten. Stachelbeeren, Körbe
von wässrigen Stachelbeeren. Sie rieb sie sich mit den Fäusten aus dem Gesicht
und lief weiter, noch schneller, noch schneller davon. Eine Natalie also. Eine
unkomplizierte Ausnahme. Scheiße. Das Keuchen übertönte ihre Weinkrämpfe. Sie
hasste Schnee. Sie hasste den Winter. Sie hasste Weihnachten. Sie riss die Augen
weit auseinander und fühlte sich alt. Sehr alt. Ihr war, als hätte sie alles
versäumt, was sie jung gehalten hätte. Und ihr war, als fehlten ihr Idee und
Kraft, diese Versäumnisse jemals nachzuholen und den rapiden Alterungsprozess
zu stoppen.
     
    Max hatte
gerade den Hörer in der Hand, um Natalie abzusagen, als sie an der Tür
läutete. Er überlegte kurz, sie nicht hineinzulassen - ein Notfall:

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