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Glattauer, Daniel

Glattauer, Daniel

Titel: Glattauer, Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Weihnachtshund
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morgen
keine Ordination«, sagte sie. - »Ja gut, um neun.« - »Also dann, bis morgen.« -
»Nein, ich sag nicht ab.« - »Nein, sicher nicht.« - »Ich freu mich.« - Ah, wirklich.«
- »Sehr sogar.« - »Also dann.« - »Dir auch.«
    »Wer war
das?«, fragte Aurelius in gespielter Ruhe, die weltmännische Toleranz
signalisieren sollte. »Ach, nur ein Freund«, sagte Katrin und freute sich über
die offensichtliche Schamlosigkeit ihrer Untertreibung. »Du bist wunderschön,
wenn du glücklich bist«, sagte Aurelius. Jetzt tat er ihr leid. »Wollen wir
nicht diese Woche einmal ins Kino gehen?«, fragte sie. Sie war selbst
verblüfft über ihre Verwandlung. Plötzlich mochte sie ihn und wollte ihm Gutes
tun.
    »Telefonieren
wir morgen«, schlug sie vor und drängte zur Ausgangstür. (Der Wartesaal war
voll mit Patienten.) »Ich ruf dich an«, sagte er, ging ein paar Schritte auf
die Tür zu, drehte sich um und fragte untrainiert beiläufig: »Und morgen hast
du ein Rendezvous?« - »Aber nein«, sagte sie und lachte laut auf. »Ich bin nur
bei einem Freund zum Frühstück eingeladen.« Aurelius lächelte verunsichert. »Er
will, dass ich seinen Stachelbeerkuchen koste«, rief ihm Katrin nach.
     
    14.12.
     
    Wenn Kurt
irgendwas verstand, dann am ehesten Spaß, dachte Katrin. Als Gastgeschenk hatte
sie für ihn eine Leberkäsesemmel aus Plastik ausgesucht, die wieherte, wenn man
hineinbiss. Das Wiehern sollte eine akustische Anspielung darauf sein, dass es
sich bei dem Leberkäse um Pferdeleberkäse handelte.
    Max hätte
sie beinahe einen Pin-up-Kalender mit persönlicher Widmung »Zur Anregung der
Kreativität und Förderung der Arbeitsleistung« mitgebracht. Aber dafür war es
noch zu früh, dachte sie. Es war wohl mehr ihr Übermut, in dieser trostlosen
Zeit so große Freude über eine so simple Sache wie eine Einladung zu einem
Frühstück entwickeln zu können. Vielleicht hatte Max ja auch wirklich ein
Problem. So brachte sie ihm besser eine Packung Kürbiskerne mit
Vanillegeschmack mit.
    Draußen
schneite es in dicken Flocken. Als Kind hatte Katrin abends oft stundenlang am
Fensterbrett gelehnt und angespannt das strichlierte Laternenlicht fixiert. Und
wenn sie in der Nacht aufwachte (oder wenn sie vor Aufregung gar nicht
eingeschlafen war), musste sie nachsehen, ob der flimmernde Kreis um das Licht
noch vorhanden war, ob das Schwirren der Flocken zugenommen oder nachgelassen
hatte.
    Im Laufe
der Jahre hatte sich die Symbolkraft des Schneefalls in den Bereich der
negativen Gefühle verschoben. Katrin hatte den Schnee durchschaut. Er war
trügerisch. Er kam im Anflug auf romantisch daher, aber sowie er den Boden
berührte, bekannte er sich dazu, sinnlos und überflüssig zu sein. Die Zeit, in
der sich Katrin den Schnee wegwünschte, war um ein Vielfaches länger als jene,
in der sie ihn ersehnte. Die Intervalle wurden von Jahr zu Jahr größer.
    Im
Esterhazypark, auf dem Weg zu Max und Kurt, schloss sie für wenige Minuten
Frieden mit dem Winter. Sie schob die Kapuze zurück, ließ ihre Haare weiß
bedecken und sich die Flocken vom Wind ins Gesicht treiben. Sie schloss die
Augen und fühlte sich jung. Sehr jung. Ihr war, als wäre sie ein Kind
geblieben.
     
    Kurt lag
unter seinem Sessel und schlief. Als Katrin eintrat, wachte er nicht auf. Als sie
ihm mit der Plastikleberkässemmel ins Ohr wieherte, ebenfalls nicht. Die
Wohnung war warm und hell, sie machte es einem unmöglich, melancholisch zu
werden, dachte Katrin. Sie war weder eingerichtet noch ausgestattet, sondern
es war dem Zufall schöner und potthässlicher Einzelstücke überlassen, etwas
daraus zu machen. Und das war ihnen gelungen. Die Wohnung war das Gegenteil
von stillos; sie hatte zu viele Stile auf einmal. Dem Mobiliar sah man die
unterschiedlichen Stimmungslagen des Käufers bei der jeweiligen Anschaffung
an. Einmal wollte er günstig kaufen, dann praktisch, dann bunt, dann edel,
einmal avantgardistisch, dann exquisit, dann wieder so, dass seine
Urgroßeltern »spießbürgerlich« dazu sagen würden.
    Auf dem
hellen Parkettboden im Wohnzimmer lagen drei Teppiche aus unterschiedlichen
Kontinenten, die sich farblich bekriegten. (Europa verblasste, Asien verkroch sich,
Südamerika siegte.) Dem mahagonibraunen Kleiderschrank sah man an, dass er zu
groß und schwer war, um zum Fenster hinausgeworfen zu werden, was ihm gebührt
hätte. Das geeignete Wortpärchen, mit dem sich Gäste angesichts solcher
Holzmonumente des Grauens aus der Affäre ziehen

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