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Glattauer, Daniel

Glattauer, Daniel

Titel: Glattauer, Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Weihnachtshund
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konnten, hieß »notwendiger
Stauraum«.
    Nett waren
die kleinen Kommoden, Kästchen und Tischchen, die man von weitem für
Antiquitäten halten konnte. An den Wänden hingen kitschig-schräge Landschaftsmalereien
und eine monströse Kuckucksuhr ohne Kuckuck, dafür mit stündlich auftauchenden
Figuren aus der hellenistischen Mythologie. Katrin erkannte an den fehlenden
Vasen, Lampen, Kerzenständern und sonstigen Ziergegenständen, dass dem
Haushalt die Verspieltheit des Einrichtern und die Liebe zum Detail fehlte,
also die Frau.
    Das
wärmste Eck des Wohnzimmers bog sich weich in einer mondänen orangeroten
Rauledergarnitur, vor der ein schmerzhaft-rustikaler, mit Schieferplatten
bedeckter und mit Eichenholz umrandeter Couchtisch stand. Der Jugendstilschreibtisch
war das vielleicht edelste Stück des Wohnraums. Ohne Bedeckung mit
Pin-up-Girls kam er noch besser zur Geltung, dachte Katrin. Beinahe hätte sie
es ihm gesagt.
    Max stand
in seiner kleinen Küche, die nach »einmal in der Woche Harn and Eggs aus der
Hand eines verkaterten Junggesellen« aussah. Aber sie roch nach Großmutter. Es
war der Geruch von Stachelbeerkuchen, nein, es war der Geruch von Kuchen.
Stachelbeeren rochen nach nichts.
    »Woher
hast du sie?«, fragte Katrin. Sie war mit dem unreinen Klang ihrer Worte
unzufrieden. Sie konnte eine so angenehm tiefe Stimme haben, wenn sie souverän
war, wusste sie - und dann dieses Gekrächze! Merkte er ihre Aufgeregtheit? Er
erzählte irgendetwas von einem Markthändler, den er kannte und der ihm den
Tipp gegeben hatte, es doch dort und dort zu probieren; »dort und dort« gab es
aber keine, also versuchte er es ...
    Sie konnte
sich nicht auf den Inhalt seiner Worte konzentrieren. Er hatte Stachelbeeren
vom Ende der Welt geholt. Das hatte er für sie getan. Nur für sie. Für sie
allein. Ein Schmuckstück kaufte einer von vielen Männern für eine von vielen
Frauen. Aber einen Stachelbeerkuchen machte nur der eine, der das Stichwort
kannte, nur für die eine, die es ihm hingeworfen hatte. Intimer konnte ein Geschenk
nicht sein.
    Er sah sie
beim Reden an, sie musste wegschauen. Sie kam sich entlarvt vor, er ihr
verwandelt. Seine Blicke okkupierten sie. Er war wie neu, wie plötzlich in ihr
Leben getreten. Er beschäftigte sie. Sie begann ihn zu studieren. Er gefiel
ihr. Sie staunte über sich, wie ihr ein Mann, der ihr zum ersten Mal bewusst
begegnete, gleich so sehr gefallen konnte.
    Sie
verbrachten den halben Tag auf der orangeroten Eckcouch. Sie saßen gut zwei
Meter auseinander und rutschten keinen Millimeter näher zusammen, sie, weil sie
es nie tun würde, er, weil er es nicht tat. Kurt schlief durchgehend, Katrin
liebte ihn dafür. Er war ihr Lieblingshund. Der Kuchen schmeckte nach nichts.
Immer wenn Max: »Möchtest du noch ein Stück?« fragte, sagte sie: »Ja, gern,
aber nur ein kleines.« Dazu trank sie acht Tassen Kaffee und zwei Liter
Mineralwasser. Sie musste ständig konsumieren (und dazwischen regelmäßig die
Toilette besuchen). Sie brauchte die stete Berechtigung dazubleiben. Sie wollte
dableiben. Sie wollte nicht mehr fortgehen, und wenn sie bis an ihr Lebensende
Stachelbeerkuchen und Kaffee und Wasser zu sich nehmen (und die Toilette
besuchen) musste, um die Aufenthaltsberechtigung nicht zu verlieren.
    Sie
redeten über alles und nichts. Beides war spannend. Max war ein erfreulich
schlechter Unterhalter, bemerkte Katrin. (Gute Unterhalter ließen einen nie zu
Wort kommen, nach ein paar Stunden war ihr Programm zu Ende. Dann drückten sie
auf die Wiederholungstaste und ließen ihre besten Geschichten noch einmal Revue
passieren. Manchmal rangen sie sich für die jeweiligen Publikumsgäste noch
eine zweite Zugabe ab. Danach war endgültig Sendepause. Dann musste rasch etwas
Nonverbales passieren. Oder sie mussten die Zuhörer wechseln.)

Max war
anders. Wenn er länger als zehn Sekunden von sich erzählte, begann sein
Redefluss zu stocken, dann suchte er nach einem passenden Übergang und erteilte
Katrin das Wort. Ihr blieb es erspart zu überlegen, was sie ihm sagen konnte.
Er fragte gezielt nach allem, was ihn interessierte. Sie wunderte sich, wie
wenig Geheimnisse sie vor ihm hatte und wie leicht es ihr fiel, persönliche und
familiäre Dinge preiszugeben.
    Irgendwann
musste es kommen: »Und dein Freund?«, fragte Max. - Die Frage war fairerweise
sehr allgemein gestellt. Katrin probierte: »Welchen meinst du? Ich habe mehrere
sehr enge Freunde.« - »Dein fester Freund, der keinen

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