Glattauer, Daniel
sie durchgehend: »Lieber Aurelius, wir freuen uns, dich
hier und heute in unsere Familie aufnehmen zu dürfen. Nicht weil du eine
Notariatskanzlei hast. Erfolg ist nicht alles. Geld ebenfalls nicht. Viel mehr
zählt die Liebe. Glaub mir, du hast die beste Wahl getroffen, die du nur
treffen konntest. Eine schönere und klügere Frau als meine Tochter wirst du
nicht finden. Reden wir nicht lange herum, machen wir Nägel mit Köpfen ...« Die
Mutter weinte. Aurelius tröstete sie. Katrin nützte die allgemeine Aufregung,
um das Zimmer zu verlassen. Erst nach einer halben Stunde kam jemand nachsehen,
wo sie geblieben war: auf der Toilette. Ihr war wirklich nicht gut.
Der Abend
erfuhr noch eine Steigerung. Katrin kämpfte ihre Übelkeit mit Kognak nieder und
verweigerte den Gesang von »Oh du Fröhliche«. Aurelius las zur Wiedergutmachung
eine Weihnachtsgeschichte von Erich Kästner vor. Unter dem Christbaum lagen 18
Geschenke. Es lohnt sich nicht, ins Detail zu gehen: Katrin bekam von der
Mutter die gesammelten Strickwerke des vergangenen Jahres und vom Vater einen
himmelblauen Mikrowellenherd - mit dem Hinweis an Aurelius, er möge sich in
Geduld üben; auch seine Frau Ernestine hätte das Kochen erst nach zehn
Ehejahren erlernt. Die Männer lachten.
Die letzte
Szene, die Katrin noch in Erinnerung hatte - sie hielt unbemerkt bei einer
halben Flasche Kognak ein -, war die Übergabe eines goldenen Kolliers. Aurelius
hängte es ihr plötzlich ansatzlos um den Hals. Es war so schwer, dass sie ihren
Kopf kaum noch aufrecht halten konnte. Als die Mutter das Schmuckstück sah und
die Anzahl der Karat erfuhr, traten ihr die, Augen heraus. Katrin blickte apathisch
in die Runde der Bestauner. »Das Kind ist sprachlos«, tröstete der Vater den
Spender. »Jetzt gib ihm aber einen ganz, ganz dicken Kuss, Goldschatz!«,
forderte Mutter die Beschenkte auf. Einen Tag später erfuhr Katrin, dass sie
als Antwort »Nur über meine Leiche« gelallt haben soll, ehe sich ihr Kopf auf
den Tisch gesenkt hatte.
Der
zwölfte Tag war schon einer zu viel. Sie wachte im Bett neben Aurelius auf und
musste sofort weg. Sie hatte das Gefühl, drei Köpfe zu spüren, die unter
jeweils starken Schmerzen das Gleiche dachten: Verrat, Betrug, Verkauf, Schande.
»Was machst du?«, fragte Aurelius schlaftrunken. »Ich gehe«, erwiderte Katrin.
»Wohin?«, fragte er. »Nach Hause«, antwortete sie. »Du bist hier zu Hause, mein
Schatz«, meinte er. »Das ist ein Irrtum«, murmelte sie. »Ich liebe dich nicht.«
Das Kollier ließ sie zurück. Es wäre das Halsband gewesen, an dem ihr Aurelius
die Leine anlegen wollte. Und die Eltern hätten sich mit der artgerechten
Haltung ihrer Tochter im Goldkäfig einen Lebenswunsch erfüllt. Das war für
Katrin noch bitterer als die neuerliche Desillusion von Liebe.
»Besser
oder schlechter?«, fragte Katrin. »Schlechter«, sagte Aurelius. »Und jetzt?«,
fragte Katrin. »Schlechter«, erwiderte Aurelius. »Okay, alles in Ordnung, du
brauchst nach wie vor keine Brille, wie schon vor drei Wochen«, sagte Katrin
gelangweilt und hielt ihre rechte Hand im Anschlag, wie das Ärzte tun, für die
Patienten da sind, um verabschiedet zu werden.
»Ich war
bei deinen Eltern«, sagte Aurelius. Diese gefährliche Drohung verlor innerhalb
des Jahres durch stete Wiederholung ihre Wirkung. »Sie meinen, es geht dir
nicht besonders gut«, sagte Aurelius mitleidig. - »Meinen sie das?«, fragte
Katrin. »Sie sagen, du bist sehr einsam«, verriet Aurelius. »Sie müssen es ja
wissen«, antwortete Katrin mit zugekniffenen Augen.
»Denkst du
gar nicht an unsere Zeit vor genau einem Jahr?«, fragte Aurelius und berührte
ihre Schulter. »Nicht jede Minute«, erwiderte Katrin. »Ich fühle mich so ...«
Katrin wusste, wie er sich fühlte, auch wenn er nicht dazu kam, es zu sagen.
Das Telefon läutete. Und Katrin empfand die Situation als gegenteilig zu einer,
in der man ein Telefon nicht läuten hörte oder es läuten ließ.
Es war
Max. Wieso wusste er, dass er es sein musste, dass dies gerade ihr größter
Wunsch war? Ihr wurde von innen nach außen heiß. Vermutlich hatte sie rote
Wangen. Aurelius durfte sie strafweise so sehen. Hatte er sie überhaupt schon
einmal so strahlend gesehen?
Sie sagte:
»Wirklich?« Das war schon eine Art Jubelschrei. »Ja, gern, sehr gern sogar«,
hörte er sie sagen. Ihre Telefonstimme war zittrig. Sie hatte Mühe, ihre
plötzliche Aufregung zu verbergen. »Es kann ruhig später sein, ich hab
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