Glattauer, Daniel
glaube, er muss gehen«, erwiderte Max, richtete sich auf
und strich seine Haare glatt. Während Natalie sich fluchend anzog, streichelte
er seinen regungslos im Raum stehenden und ins Leere starrenden Hund. Als sie
die Tür hinter sich zuwarf, zog er ihm Katrins Leberkäsesemmel aus dem Maul
und drückte sie an seine Brust.
15.12
Am Samstag
überraschte sich Katrin damit, dass sie sich nicht treiben ließ und dass ihr
das Leben in seiner unerträglichen vorweihnachtlichen Kargheit Respekt
abtrotzte. Um 9 Uhr läutete der Wecker. Fünf nach neun stand sie auf, duschte
sich (unnötig lang), holte sich mit Zahnseide letzte (unsichtbare) Bröselreste
von diesem ekelhaften Stachelbeerkuchen aus den Zwischenräumen und spuckte
mehrmals kräftig ins Waschbecken. Danach überlegte sie drei Sekunden, ob der
Tag dafür geschaffen war, Weihnachtseinkäufe zu erledigen: Er war nicht dafür
geschaffen.
Draußen
schneite es aus meteorologischer Langeweile und klimatischer Resignation
lustlose fünf Schneeflocken pro Minute. Katrin zog sich die hässlichste
Wollunterwäsche an, die sie finden konnte, ohne danach zu suchen. Darüber
passte ihre uralte graue Stepphose und der hellblaue Schlabberpullover, den
sie für den Bahnhofssozialdienst zur Seite gelegt hatte. Ihre Haare pickte sie
sich mit Gel aus dem Gesicht, den Lippenstift wischte sie wieder weg. Schminke
erschien ihr in dieser Gemütsverfassung zu weibisch. Mit den weinroten
Wanderschuhen hatte sie ihr Styling zur Perfektion gebracht. Sie sah aus wie
eine Frau, die keinem Mann gefallen wollte. Genauso fühlte sie sich. Genauso
fühlte sie sich gut. Genauso ging sie ins Kaffeehaus frühstücken. Sie aß dick
belegte Eiaufstrichbrote, trank unter konstruierten Schlürfgeräuschen heiße
Schokolade und zog eine abschließende Bilanz über Männer.
Dazu
machte sie sich Notizen. Sie wollte ein Beweisstück in der Hand haben, wie
sinnlos es war, die Hoffnung nicht aufzugeben, es könnte einmal einer ins Leben
treten, der nicht bald wieder hinaustrat oder hinausgetreten werden musste:
»1.) Es
gibt Schöne und Hässliche. Die Schönen sind brandheiß, spannend wie
Telefonbücher oder bekennende Arschlöcher. Die Hässlichen sind nicht bekennende
Arschlöcher.
2.) Zehn
Prozent aller Männer wollen von einer Frau Sex und nichts anderes. Neunzig
Prozent wollen von mehreren Frauen Sex und nichts anderes.
3.)
Achtzig Prozent der Männer interessieren sich nicht für Frauen. Von den
restlichen zwanzig Prozent interessieren sich 18 Prozent für jede gut aussehende
Frau. Zwei Prozent interessieren sich für eine bestimmte Frau. Davon interessieren
sich 1,8 Prozent für eine bestimmte Frau, weil sie sie nicht kriegen können.
0,2 Prozent interessieren sich für eine bestimmte Frau auch noch, nachdem sie
sie gekriegt haben. Davon interessieren sich 0,1999 Prozent für eine bestimmte
Frau, um sie noch ein zweites und drittes Mal zu kriegen. 0,0001 Prozent aller
Männer interessieren sich für eine bestimmte Frau, obwohl sie sie gekriegt haben.
Davon interessieren sich 0,0000999 Prozent für eine bestimmte Frau, um mit ihr
ein Kind dazu- oder die Mama zurückzukriegen. Bleiben 0,0000001 Prozent Männer,
die sich dauerhaft, sozusagen >ein Leben lang<, für ein und dieselbe
Frau interessieren, ohne damit ein Ziel zu verfolgen. Das ist der statistische
Schätzfehler.
4.) Es
gibt interessante und uninteressante Männer. Die interessanten sind vergeben
oder sie tun so (und kommen sich gut dabei vor) oder sie leben zurückgezogen
oder im Ausland oder sie tauchen plötzlich auf, sind dann aber doch nicht so
interessant. Oder sie pflegen gerade eine >unproblematische sexuelle
Beziehung< zu einer anderen Frau.
5.) Fazit
eins: Am zweitklügsten ist es, einen Mann zu erobern, der hässlich und
uninteressant ist und sich nicht für Frauen interessiert. Ein solcher ist an
jeder Ecke zu bekommen. Man kann ihn jederzeit austauschen. Er hält hundertprozentig,
was er nicht verspricht. Man hat ihn, wenn man will, für immer.
6.) Fazit
zwei: Am klügsten ist es, auf Männer zu verzichten und sie schon im Ansatz
aufkeimenden Interesses zum Teufel zu schicken. Deswegen lesbisch zu werden,
ist kindisch und zu viel der Ehre für die Männer.«
Als Katrin
das Kaffeehaus verließ, war sie radikal-militante Feministin, die zum Glück
keine Kettensäge in der Hand hatte. Daheim überlegte sie es sich noch einmal
anders und schrieb Max eine E-Mail. Sie begann mit den Worten: »Ich hoffe,
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