Glattauer, Daniel
ein eher bequemer Hund. Es gibt Stunden, da geht er
nicht gern ins Freie. Gestern Mittag war eine dieser Stunden. Und wenn er nicht
gern ins Freie geht, dann geht er nicht ins Freie. Da ist er in sich
konsequent. Kurt ist außerdem ein bisschen wasserscheu und gestern hat es
geregnet. Deshalb sind wir nicht gekommen. Wir sind zwar von zu Hause
weggegangen, aber wir sind nicht angekommen. Das tut uns leid. Das heißt: Mir
tut es leid. Aber Kurt ist wirklich ein guter Hund. Und vielleicht wollen Sie
sich ihn doch einmal ansehen. Vielleicht morgen. Morgen wird es bestimmt nicht
regnen. Morgen geht Kurt sicher gern außer Haus, das heißt: Morgen geht er
sicher außer Haus. Wir kommen auch gerne zu Ihnen, wenn Ihnen das lieber ist.
Sie müssen uns nur sagen, wann wir wohin kommen sollen. Wir können uns das
einteilen. Herzliche Adventgrüße senden Max und Kurt.« - Den letzten Satz
korrigierte er und schrieb: »Mit freundlichen Grüßen, Max.«
Die Frau,
die den Hund theoretisch übernehmen wollte, hatte am frühen Morgen
geantwortet: »Okay. Schauen Sie mit Ihrem Hund beim Augenarzt Doktor Harlich
vorbei. Dort arbeite ich.« Und sie hatte die Adresse angegeben. Und die
Uhrzeit: 15 bis 17 Uhr. Und sie hatte angefügt:
»Bitte
befestigen Sie Kurt an einer Leine und statten Sie ihn mit einem Beißkorb aus.
Patienten könnten sich sonst fürchten.« Und sie hatte hinzugefügt: »Bitte
überprüfen Sie den Beißkorb auf mögliche Durchlässigkeit. Es grüßt Sie Katrin.«
Den
Vormittag verbrachte Max im Einser-Büro und erstellte die »Max'sche
Kreuzworträtsel ecke«. Um Zeit zu sparen, griff er auf eine Rätselecke vom
August des Vorjahres zurück. Abkürzungen waren ja zum Glück zeitlos. Zu Mittag
gab er im Zweier-Büro das aktuelle Kinoprogramm ein. Am frühen Nachmittag
besorgte er einen Beißkorb. Eigentlich hätte er Kurt gern dabeigehabt, wegen
der Größe. Aber es schneite leider und regnete.
Exakt zwei
Minuten vor fünf hatte er die Tür der Ordination des Augenarztes Doktor Harlich
erreicht. Es hatte buchstäblich in letzter Sekunde sowohl zu regnen als auch
zu schneien aufgehört. Max fühlte sich psychisch angeknackst und auch physisch
schwer gezeichnet. Stufensteigen mit Kurt hieß, jede Stufe fünfmal zu steigen.
Der Arzt residierte im zweiten Stock. Kurt fand zwar in jeden Fahrstuhl, aber
er verließ kaum einen mehr; Feuerwehreinsätze dieser Art waren erfahrungsgemäß
teuer. Jedenfalls lag Kurt, als sich die Tür öffnete, wie durch ein Wunder bei
Fuß. Seine müde Medium-Schnauze hing in einem sportlichen XXL-Beißkorb. So
verwegen hatte ihn Max noch nie gesehen. Für die nächste Folge von »Treue
Augenblicke« bot sich »Als Kurt seinen ersten Beißkorb trug« an.
Katrin
erlebte die folgenden Minuten wie eine Szene aus einer Filmkomödie, in der ein
verwirrter Außendienstmitarbeiter einer Elektrogerätefirma bei seinem ersten
Auftrag einer Kundin einen Staubsauger als Nähmaschine verkaufen wollte und zu
Demonstrationszwecken eine Gefriertruhe mitgebracht hatte. Sie öffnete die
Türe und fing ein überfallsartiges »Guten Tag, mein Name ist Max und das ist
Kurt« ein. Dabei zeigte der junge Mann auf eine dunkelbraune eingerollte Masse
zu seinen Füßen, als deren Mittelpunkt das Drahtgestell eines Beißkorbes
erkennbar war.
»Kurt
beißt niemals«, versicherte der Mann überraschend traurig. »Er ist äußerst
gutmütig. Er mag Menschen, er kann es vielleicht nicht so zeigen. Er ist ein
bisschen schüchtern. Ihm macht auch das Wetter zu schaffen. Einmal Regen, dann
wieder Schnee, dann wieder Schneeregen. Für so einen Hund ist das eine
ständige Umstellung. Kurt ist nämlich sehr sensibel und reagiert...«
»Und ich
heiße Katrin«, unterbrach Katrin. »Angenehm«, erwiderte er, ein wenig
irritiert. »Kommen Sie herein«, sagte sie. Er zögerte, beugte sich zum Haufen
Hund hinunter, als müsste er sich dort erst eine Eintrittsgenehmigung erteilen
lassen. Dann legte er die Leine nieder und betrat den Warteraum. - »Der Hund
kann auch hereinkommen«, sagte Katrin. »Danke, es schadet ihm nicht, vor der
Türe zu liegen«, erwiderte der Mann. Katrin hatte das Gefühl, dass er es mit
der Zucht ein bisschen übertreibe.
»Wenn ich
ihn nehme, dann möchte ich ihn vorher einmal austesten«, sagte Katrin. -
»Ehrlich«?, fragte der Besitzer. Er dürfte ein Nervenleiden in der rechten
Schulter haben, bemerkte Katrin. »Wie oft muss er tagsüber gehen?«, fragte
sie. »Zweimal, aber ...« Er
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