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Glattauer, Daniel

Glattauer, Daniel

Titel: Glattauer, Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Weihnachtshund
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Wir kommen überall hin. Kurt freut
sich schon. Gruß. Max.« Das mit »Kurt freut sich schon« war eine Notlüge.
     
    4.12.
     
    In der
Nacht hatte es geregnet und der Wind drückte stark gegen das Fensterglas,
welches knirschende Geräusche machte, als stünde es knapp davor, in die Brüche
zu gehen. Katrin wurde von einem elefantengroßen Hund mit Haifischzähnen
gebissen, wachte auf und konnte, obwohl die Schmerzen natürlich gleich weg
waren, die restlichen drei Stunden nicht mehr einschlafen. Den Typen mit dem
Hund würde sie zu Mittag im Cafe Melange treffen. Sie hoffte, dass er ihr
nichts tun würde - der Hund. Vor Männern fürchtete sie sich weniger.
    Ordination
war dienstags von 8 bis 12 und von 15 bis 18 Uhr. Katrin kam immer schon ein
bisschen früher. Sie ertrug es nicht, wenn Doktor Harlich vor ihr in der Praxis
war. Da empfing er sie stereotyp mit bemüht französischem Akzent mit »Guten
Morgen, mein schönes Fräulein, haben Sie gut geschlafen?« und schlich mit
seinen schlaffen Händen von hinten an ihren Körper heran, um ihr aus dem Mantel
zu helfen, als wollte er Marlon-Brando-mäßig zum »Letzten Tango« antreten. Es
wäre übrigens garantiert sein letzter Tango gewesen. Augenarzt Doktor Harlich
war 76 und ordinierte nur noch aus Gewohnheit und Betriebsblindheit. Er sah
bereits so schlecht, dass er seine Patienten nicht mehr unterscheiden konnte.
    Doktor Harlich
unterschrieb aber immerhin die Krankenscheine. (Den richtigen Platz fand er
blind.) Die restliche Arbeit erledigte Katrin - und umgekehrt. Sie war theoretisch
medizinisch-technische Assistentin der Augenheilkunde, jedoch praktisch
Augenärztin ohne Doktortitel. Ihretwegen kamen die Kunden, ihretwegen musste
der Wartesaal vergrößert werden. Achtzig Prozent der Patienten waren Männer.
Alle wollten von ihr behandelt werden. Alle wollten, dass sie ihnen in die
Augen schaute.
    Der
Vormittag verging schnell. - Ein Leberleiden, ein beginnender grüner Star,
altersbedingte Kurzsichtigkeit, jugendliche Weitsichtigkeit: gleich zwei
Dioptrien mehr - armer Bub, war erst 15 Jahre alt und hatte schon Aschenbecher
vor den Augen. Sieben weitere Patienten waren gesund und brauchten keine
Brillen. Wahrscheinlich hatten sie es vorher ohnehin schon gewusst.
    Zehn vor
eins wartete Katrin im Cafe Melange auf den Weihnachtshund, der ja hoffentlich
an einer Leine hängen und mit einem ausbruchsicheren Beißkorb ausgestattet sein
würde. Die zehn Minuten bis zum vereinbarten Treffzeitpunkt brauchte sie, um
Fluchtwege auszukundschaften, für den Fall, dass der Hund an keiner Leine hing
und mit keinem ausbruchsicheren Beißkorb ausgestattet war.
    Katrin
hasste es, allein in einem Kaffeehaus zu sitzen und so zu tun, als würde sie in
dem Magazin, mit dem sie ihr Gesichtsfeld abschirmte, auch tatsächlich lesen.
Sie hasste es, von Männern angesprochen zu werden, von denen sie nicht
angesprochen werden wollte, und nur solche sprachen sie an. Noch mehr hasste
sie deren ängstlichsündige Blick-Kombinationen (Augen-Busen-Beine-Augen-Busen-Busen),
die nach ihr verrenkten Hälse, das notgeile Gezwinkere, die lustvoll gehobenen
Augenbrauen, die von der Wunschvorstellung geöffneten Münder mit den vorblinzelnden
Zungen. Am meisten hasste sie die Vorstellung, dass sich manche der Männer
vielleicht sogar einbildeten, sie würde deshalb allein im Kaffeehaus sitzen,
um dies erleben zu dürfen.
    Als sie 26
war und den Vollzug ihrer vierten gescheiterten Beziehung, jene mit Herwig,
hinter sich gebracht hatte, saß sie alleine in einem Kaffeehaus und ließ sich
widerstandslos ansprechen. Ihr fehlten die natürlichen Abwehrkräfte. Außerdem
wollte sie Herwig dafür bestrafen, dass er so war, wie er war. Außerdem hatte
sie schon sechs Monate mit keinem Mann mehr geschlafen. Außerdem hatte sie Lust
- zwar nicht unbedingt danach, mit einem Mann zu schlafen, aber nach ganz
normalem Sex.
    Der Typ
hinter den Sonnenbrillen, Georg sollte er heißen (eines der wenigen Worte, die
er fehlerfrei und ohne geistigen Kraftaufwand reproduzieren konnte), war
einer, den Frauen einen »Adonis« nannten, ein ewiger Tarzan-Statist, potent bis
in die Zehenspitzen. Ein Typ, den es eigentlich nur auf Fototapeten geben
dürfte. Wegen solcher Männer flogen Garnisonen frustrierter Ehefrauen und
Mütter nicht mehr allzu kleiner Kinder jährlich nach Tunesien und ritten auf
Kamelen. Manche kamen nie wieder zurück.
    Damals war
Katrin alles egal. Deshalb beantwortete sie selbst Fragen wie: »Warum

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