Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
ein bisschen zu weit. Sicher, ihr Exmann war kein Schuljunge, und er hatte sie auch nicht um ihre Meinung zu dem Thema gebeten. Aber Herrgott noch mal, es war das erste Mal, dass die beiden sich getroffen hatten, und wo würde die Welt noch enden – oder besser, wo würde Freddie enden –, wenn Männer und Frauen einander im Bett ausprobierten? Wenn sie sich erkundeten wie Kinder beim Doktorspielen? Freddie behauptete, es wäre ihre Idee gewesen. Die Frau hatte es vorgeschlagen! Laut Freddie hatte sie gesagt: »Es hätte ja wohl keinen Zweck, uns noch mal zu treffen, wenn wir sexuell inkompatibel wären, oder findest du nicht?«
Na ja, Freddie war ein Mann. Wie hätte er denn auf so ein Angebot reagieren sollen? Um ein halbes Jahr Zeit bitten, um sich in aller Keuschheit über alle erdenklichen Themen, von Politik bis hin zu Fingerfertigkeit auszutauschen? Außerdem fand er den Vorschlag gar nicht so dumm. Schließlich hatten sich die Zeiten geändert. Also waren sie nach zwei Glas Wein im Pub nach Hause gekommen und ins Bett gehüpft. Offenbar hatte nicht nur alles reibungslos funktioniert, sondern es hatte ihnen auch noch gefallen, und so hatten sie es noch zweimal getan, so Freddie, und sie war über Nacht geblieben. Und als Manette am Morgen nach unten gekommen war, hatten sie zusammen in der Küche gesessen und Kaffee getrunken. Die Frau hatte nichts anderes angehabt als eins von Freddies Hemden, so dass nicht nur ihre langen Beine, sondern auch ein Teil ihres Hinterns zu sehen war. Wie eine Katze, der die Federn des Kanarienvogels am Maul kleben, sagte sie: »Guten Morgen. Sie sind bestimmt Freddies Ex. Ich bin Holly.«
Holly? Holly! Was war das denn für ein Name? Manette schaute Freddie an – der zumindest den Anstand besaß zu erröten –, schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und trat den Rückzug in ihr Zimmer an. Kurz darauf klopfte Freddie an ihre Tür und entschuldigte sich für die peinliche Situation – nicht etwa dafür, dass die Frau über Nacht geblieben war – und versprach, typisch Freddie, demnächst »bei ihnen« zu übernachten. »Es ist einfach alles ziemlich schnell gegangen«, fügte er hinzu. »Das hatte ich so nicht geplant.«
Aber Manette hatte genau gehört, dass er gesagt hatte »bei ihnen«, und so hatte sie endlich begriffen, dass die Zeiten sich geändert hatten und dass Kopulation die moderne Version des Händeschüttelns war. »Soll das heißen, du hast vor, eine nach der anderen auszuprobieren?«, hatte sie gestammelt.
»Na ja, sieht so aus, als würde das heutzutage so laufen.«
Sie hatte versucht, ihm klarzumachen, dass das der reine Wahnsinn war. Sie hatte ihm einen Vortrag über sexuell übertragbare Krankheiten gehalten, über ungewollte Schwangerschaften, über sexuelle Abhängigkeit, über alles, was ihr zu dem Thema eingefallen war. Was sie nicht gesagt hatte, war, dass sie es doch gut hatten, dass es schön war zusammenzuwohnen, denn sie wollte nicht hören, dass er ihr sagte, es sei an der Zeit, getrennte Wege zu gehen. Aber am Ende hatte er sie auf die Stirn geküsst, ihr gesagt, sie solle sich keine Sorgen um ihn machen, ihr eröffnet, dass er am Abend eine weitere Verabredung hatte, weshalb er womöglich aushäusig übernachten würde. Er würde mit seinem eigenen Wagen fahren, sagte er, denn die Frau, mit der er verabredet war, wohnte in Barrow-in-Furness, und sie wollten sich in einem Nachtclub namens Scorpio treffen. Falls sie also noch mit ihm in die Koje wollte – er sagte tatsächlich »in die Koje« –, würden sie zu ihr fahren, weil der Weg bis Great Urswick zu lang war, wenn sie erst einmal füreinander entflammt waren.
»Aber Freddie …!«, stöhnte Manette, mehr gab es dazu nicht zu sagen. Schließlich konnte sie ihm nicht vorwerfen, er sei untreu oder er zerstöre ihre Beziehung oder er handle überstürzt. Sie waren nicht mehr verheiratet, sie hatten so gut wie keine Beziehung mehr, und ihre Scheidung lag schon so lange zurück, dass Freddies Entschluss, sich wieder in den Markt zu stürzen, nicht überstürzt gefallen war. Er war einfach so ein Typ. Und man brauchte ihn nur anzusehen, um zu verstehen, dass die Frauen auf ihn flogen: Er sah frisch und sympathisch und einfach gut aus.
Nein, sie hatte kein Recht, sich zu beklagen, und das wusste sie. Trotzdem trauerte sie um etwas, das sie verloren hatte.
Im Moment gab es Dinge, die wichtiger waren als ihre Probleme mit Freddie, und auch wenn sie das nach der Auseinandersetzung mit Niamh
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