Glaube, Liebe, Mafia: Ein Fall für Josif Bondar
quälte sich ein Lächeln ab, was bei dem Jungen zu einer Heul-und-Schrei-Attacke führte.
»Tut mir leid.« Josif sah Anna an. »Es ist nicht mein Tag heute. Nichts ist mir gelungen, außer der Trennung von meiner Freundin. Das haben wir heute endlich geschafft, nach sieben Jahren Kampf. Dieses Multi-Kulti-Zusammenleben ist nicht einfach. Es tut mir wirklich leid, dass ich das Kind zum Weinen gebracht habe.«
»Das macht nichts.« Sie gab Max den Schnuller, und das Kind beruhigte sich.
Der Kellner brachte den Kaffee und den Prosecco.
»Trinken Sie einen Schluck mit mir?«
»Danke, aber wirklich nur einen kleinen Schluck. Mittags Sekt trinken, das habe ich wirklich schon lange nicht mehr gemacht.«
Josif stand auf:
»Ich hole ein Glas für Sie.«
Er ging an die Theke, holte das Glas und einen eingeschweißten Keks, den er in die Tasche steckte, kam zurück, schenkte ein und prostete Anna zu:
»Auf Ihre Gesundheit!«
Josif trank das Glas leer, Anna nippte nur.
»Wo kommen Sie her?«
»Bin auf der Halbinsel Krim geboren.«
»Sind Sie Russe?«
»Russisches, ukrainisches, jüdisches, türkisches und griechisches Blut fließt in meinen Adern. Die Krim ist ein Schmelztiegel der Kulturen, die Wiege der Zivilisation. Von der Antike bis in unsere Zeit: Künstler, Dichter, Philosophen. Mein Elternhaus steht zum Beispiel neben dem Haus, wo der große russische Dichter Anton Tschechow die berühmte ›Möwe‹ geschrieben hat. Kennen Sie Tschechow?«
»O ja, ich arbeite am Theater.«
»Wirklich?«
»Ja, ich bin Schauspielerin.«
»Dann kennen Sie Tschechow! Meine Oma hat mir viel von Anton Pawlowitsch Tschechow erzählt. Er war ein sehr gütiger Mensch, tolerant, bescheiden … guter Liebhaber.«
»Kannte sie ihn?«
»Natürlich. Sie wohnte nebenan, war 18 und wunderhübsch. Wenn er nicht so früh gestorben wäre, wer weiß? Mit 19 hat meine Oma das erste Kind bekommen, meinen Onkel, da war sie gerade vier Monate verheiratet. Es kursierte das Gerücht … Ach ja, ist egal. Nehmen Sie noch einen Schluck? Ich heiße übrigens Josif.«
»Anna.« Sie gaben sich die Hand. »Und ich trinke gerne noch ein Glas.«
Annas Handy vibrierte. Es war eine SMS von der angeblichen Schülerin Silvia: »Tut mir ganz doll leid, meine Mutter musste plötzlich ins Krankenhaus, kann nicht kommen, sorry!« – »Kein Problem, allerbeste Grüße«, schrieb Anna zurück.
Josif schenkte nach.
»Auf die Dichter und das Theater!«
Beide tranken ihre Gläser leer.
»Es könnte also sein, dass Ihr Onkel Tschechows Sohn ist? Das ist ja sensationell!«
»Das Geheimnis hat meine Oma mit ins Grab genommen. Was aber kein Geheimnis ist: Ich bin nicht Tschechow und nicht mal Dostojewski, aber ich schreibe auch Gedichte: скажи-ка дядя ведь недаром москва спалённая пожаром французу отдана …«, rezitierte Josif eine Strophe aus dem berühmten Lermontow-Gedicht, die einzige, die er noch aus der Schulzeit auswendig wusste.
»Schade, dass Sie kein Russisch verstehen.«
»Das ist wirklich schade. Es hört sich wunderbar an. Um was geht es denn in dem Gedicht?«
»Lyrik ist immer schwer zu übersetzen. Im Prinzip um Glaube, Liebe und … die Mafia.«
Es war bereits halb vier, als Jan und Nina das Lokal verließen. Beim Rausgehen schaute Jan nach draußen in den Hof. Dort stand Anna Hiller gerade vom Tisch auf und ging leicht wankend in Richtung Toiletten. Auf dem Tisch standen zwei leere Proseccoflaschen. Das kleine Kind saß bei dem Mann mit dem weißen Anzug auf dem Schoß. Jan beobachtete, wie der Mann dem Jungen einen Keks in die Hand gab, ihm den Schnuller aus dem Mund zog und in eine kleine Plastiktüte einpackte. Jan erinnerte sich, mal gelesen zu haben, dass zu viel Hygiene bei Kindern eine Ursache für spätere Allergien sein könnte. Er würde bei seinen Kindern den Schnuller sicher nicht in ein Plastiktütchen einwickeln, dachte Jan und folgte Nina.
11
Jupp Truschnik hatte gemischte Gefühle, als er mit dem jungen Kollegen Jens und dem Haftbefehl in der Tasche losgefahren war, um Klaus den Propheten festzunehmen.
Jupp kannte Klaus noch aus den Siebzigern. Ein Dutzend Mal hatte Jupp ihn bestimmt schon verhaften dürfen. Klaus war damals bei jeder Demo an vorderster Front dabei: gegen den NATO-Doppelbeschluss, gegen AKWs, gegen den Bau der Stadtautobahn. Er kämpfte für jedes besetzte Haus und für die Legalisierung der Drogen. Vor allem für Letzteres war er nicht nur
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