Glaube, Liebe, Mafia: Ein Fall für Josif Bondar
ein theoretischer Kämpfer, sondern lebte den Kampf auch exzessiv vor. Klaus wurde sogar berühmt: Als ein besetztes Haus in Nippes gestürmt wurde, hatte sich Klaus mit Ketten an der Klosettschüssel befestigt. Das Bild von ihm, die Ketten um den Rumpf, grinsend, den Joint in der einen Hand, die andere Hand zum Victoryzeichen erhoben, ging durch die Presse und wurde zum Sinnbild des friedlichen Widerstandes. Noch berühmter wurde er durch seine Heldentat beim Bau der Stadtautobahn. Ihm gelang es, sich nachts an der Schaufel des schräg nach oben gestreckten Baggerarms anzuketten. Da für den damaligen Kämpfer gegen alle bürgerlichen Konventionen die Wochentage ohne Bedeutung waren, hatte er sich unüberlegterweise schon Freitagabend angekettet. Das hatte natürlich zur Folge, dass er mindestens bis Montag in der Schaufel ausharren musste, bis die Bauarbeiten fortgesetzt wurden und die verhasste Staatsmacht von ihm Notiz nehmen konnte. Das Bedürfnis nach Haschisch, Trinken und Essen zu befriedigen war nicht das Problem, den Nachschub warf man ihm hoch. Unangenehm war das Urinieren nach unten. Denn unter dem Bagger befanden sich etliche Demonstranten, die ums Lagerfeuer saßen und zur Gitarre Kampflieder sangen.
»Hey Leute, ich muss mal pissen!«-Rufe störten irgendwie die sommerliche Romantik des Widerstandes. Hier entstand noch ein anderes Foto, das bald als populäres Poster in fast jeder WG-Küche hing: Klaus hockt mit heruntergelassener Hose in der Baggerschaufel. Aus der Perspektive des Fotografen schwebt sein nackter Hintern über dem Rand. Der Fotograf steht genau darunter. Ein Kackwürstchen ist im Anflug und kurz davor, das Objektiv zu treffen. Auf dem Poster unter dem Schwarz-Weiß-Bild ist in roter Farbe zu lesen: »Für alle, die uns unterdrücken, kommt die Antwort aus dem Rücken.«
Doch eines Tages war Klaus plötzlich verschwunden. Er war auf dem Selbstfindungsweg nach Indien getrampt. Als er nach einigen Jahren in die Domstadt zurückkehrte, brachte er die unumstößliche Erkenntnis mit, der jüngere Bruder von Jesus Christus zu sein. Es ging das Gerücht um, er sei zu dieser Erkenntnis gelangt, als er zwei Wochen lang auf LSD-Trip mit den Bettlern und Aussätzigen auf der Straße verbracht hatte.
Ob das der Wahrheit entsprach, interessierte Jupp im Augenblick nicht wirklich. Nach 30 Jahren musste er Klaus wieder mal festnehmen. Sicherlich nun zum allerletzten Mal.
Jupp fand ihn sofort. Klaus war noch im Obdachlosenheim in der Annostraße und hatte gerade seine Sachen fertig gepackt, um unter die Hohenzollernbrücke zu ziehen.
»Klaus, isch han einen Haftbefehl jäje disch, isch muss disch zum Präsidium mitnehmen.«
Klaus sagte nichts, holte bloß seine zwei Koffer, Taschen, Tüten.
»Nä, nä, Klaus, lass die Sachen hier, die holen wir später ab.«
Als der junge Kollege Klaus Handschellen anlegen wollte, verhinderte Jupp das:
»Klaus kenn ich, der läuft mir nicht weg, der hat sich immer anständig benommen.«
Im Präsidium übergab er Klaus an Jan Babbel:
»Da simmer. War ein heißer Tipp von Interpol. Er wollte jerade in die Sommerresidenz umziehen, da hammer zujeschlagen … Fluchtgefahr besteht meiner Ansicht nach nicht.«
Doch Jupps Ansichten interessierten Jan nicht.
»Leg ihm bitte die Handschellen an!«
Jupp schaute Jan an und lächelte:
»Tut mir leid, ich muss ens janz dringend.«
Ohne sich zu beeilen, ging er in Richtung Toilette.
Der junge Kollege Jens hatte kein Problem damit, Klaus die Handschellen anzulegen.
III
1
Als Heidi auf dem Weg zu Josif die Keupstraße entlangfuhr, dachte sie an den Bestseller, den sie gerade zu Ende gelesen hatte. In dem Buch des erfolgreichen amerikanischen Psychologen Henry Fishkin mit dem Titel ›Ausbruch aus dem Käfig des eigenen ICH‹ wurde die These aufgestellt, dass der Mensch ganz und gar selbst für sein Schicksal verantwortlich ist, und zwar für alles, was ihm passiert. Die Glaubenssätze und die Mechanismen, die man durch Familie, Erziehung und Gesellschaft verinnerlicht habe, erzeugten bestimmte Schwingungen, die wiederum Einfluss auf das Schicksal hätten. Deswegen würden sich die Ereignisse im Leben eines Menschen immer wiederholen, sei es in der Beziehung, im Beruf oder im alltäglichen Leben.
Das stimmt, dachte Heidi: Sie fuhr wieder nach Köln zu Josif, und wieder war ihr CD-Player außer Betrieb, schon wieder konnte sie keinen Parkplatz in der Keupstraße finden, und schon wieder hörte sie die Welle Köln
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