Glaube, Liebe, Mafia: Ein Fall für Josif Bondar
Aber ich habe noch eine Flasche Wodka in der Tiefkühltruhe!«, rief Judith vom Balkon aus und folgte Josif in die Küche.
Josif schenkte sich Wodka in ein Wasserglas.
»Josif, was ist mit dir?«
»Ich hatte einen Freund. Sein Spitzname war Jesus, weil er mit Nachnamen Nazaretko hieß. Wir waren zusammen im Einsatz.«
»Welcher Einsatz?«
»Auskundschaften.«
»Was?«
»Im Krieg, in Afghanistan. Er war so was wie ein Glücksbringer. Jeder war gern mit ihm im Einsatz. Es hieß, Jesus von Nazaretko ist bei dir, da kann dir nichts passieren.«
»Und ist dir was passiert?«
»Mir nicht. Wir waren zu zweit. Nachts auskundschaften, ob die Mudschaheddin nach dreitägiger Schlacht die Stellung aufgegeben hatten. Hatten sie nicht. Wir gerieten unter schweren Beschuss. Eine Granate riss ihm beide Beine ab und verletzte ihn schwer am Bauch. Ich wollte ihn auf den Rücken nehmen und raustragen, doch Jesus flehte mich an: ›Hau ab, lass mich liegen, ich schaff das sowieso nicht mehr!‹«
Josif trank den Wodka aus. »Wenn ich geblieben wäre, wären wir beide tot. Ich habe ihn liegen lassen.«
»Er ist für dich gestorben.«
»Er ist für niemanden gestorben! Für gar nichts, für einen Scheißdreck! Er bat mich noch, seine Uhr und den Abschiedsbrief – viele hatten so einen Abschiedsbrief dabei, für alle Fälle – seiner Familie zu übergeben. Ein paar Monate später, der Wehrdienst war beendet, fuhr ich hin. Seine Frau machte die Tür auf, und Nikolaj, sein zweijähriger Sohn, lief auf mich zu und schrie: ›Papa! Papa ist da! Ist das der Papa?‹«
Judith nahm sich auch ein Wasserglas, füllte es mit Wodka und trank:
»Das ist ja furchtbar … Was hast du gemacht?«
»Ich habe mir geschworen, nie eigene Kinder zu haben.«
Judith setzte sich auf einen Küchenstuhl, schwieg eine Weile und sagte dann:
»Wir könnten vielleicht welche adoptieren …«
2
Kurz vor zehn kam Bondar nach Hause und fuhr seinen Computer hoch. Bevor Pechstein kam, wollte er noch schnell einen Gruß an Nikolaj Nazaretko schreiben. Früher hatte er den Jungen fast jedes Jahr am Geburtstag seines Vaters besucht. In den letzten Jahren hatte er mit ihm nur noch gelegentlich E-Mail-Kontakt. Nikolaj, inzwischen schon über 30, war Bratschist an der Philharmonie in Odessa.
Silvia war ausnahmsweise nicht im Büro, sondern mit dem Veganerbund zu einer Demo gegen Schweinemastzucht nach Paderborn gefahren. Das Motto »Der Schweinequäler ist das größte Schwein« war ihre kreative Eigenleistung.
Pünktlich um zehn Uhr erschien Pechstein und kam gleich zur Sache:
»Wie Sie sicherlich bereits aus der Presse erfahren haben, war Sandini für die Brandstiftung verantwortlich. Ich lag also richtig mit meiner Vermutung, Klaus Schiffenbusch sei unschuldig. Mein Verdacht, dass Anna Hiller hinter der Brandstiftung steckte, erwies sich als nicht stichhaltig. Der Tod meines Sohnes war ein unglücklicher Zufall. Hiermit ziehe ich meinen Auftrag zurück. Anna Hiller trifft keine Schuld an Christians Tod. Ich habe aber eine neue Aufgabe für Sie. Anna wird von Unbekannten, vermutlich Russen, bedroht und erpresst. Ich fürchte, dass mein Enkelkind entführt werden könnte. In vier Wochen zieht sie mit dem Kleinen zu mir. Bis dahin benötigt sie Schutz. Am besten ab heute. Ich zahle Ihnen 1000 Euro am Tag zuzüglich Mehrwertsteuer und Spesen. Die Auftragsbestätigung maile ich Ihnen gleich.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sich Pechstein um und ging hinaus.
Josif fühlte sich auf einmal bedroht. Eine panische Angst überfiel ihn, Schweißperlen traten auf seine Stirn. »Das Souvenir vom Hindukusch«, dachte er. Er hätte gestern wohl besser nicht von Nazaretko und Afghanistan erzählt. Er ging ins Schlafzimmer, zog sein Sakko mit Halfter an und holte seine Pistole aus dem Schrank. Dann ging er zur Wohnungstür, um sie abzusperren, doch es war zu spät. Die Tür ging auf, und drei Männer traten ein. Sergej und Wladimir, die Bodyguards von Jurij, und noch ein kräftiger junger Mann, den Josif nicht kannte. Er sah aus wie ein Informatikstudent: Jeans, T-Shirt, Kappe, Brille, Dreitagebart.
»Jurij möchte mit dir reden«, sagte Sergej sachlich.
Es war eindeutig ein Befehl, dem nicht zu widersprechen war. Der Student zog sich Handschuhe an und setzte sich an Josifs Computer. Was genau er dort machte, konnte Josif nicht sehen.
»Ich habe eine Verabredung, die müsste ich absagen«, sagte Josif mit heiserer Stimme. Sergej nickte. Josif holte mit
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