Glauben Sie noch an die Liebe
streitet?
Ich habe mich sehr gerne mit meinem Mann gestritten, und eigentlich hatten wir eine gute Beziehung. Es gab sogar so etwas wie Spaß am Streiten, von beiden Seiten, das gebe ich zu.
Das klingt nicht nach ernsten Streitigkeiten.
O doch. Wir waren gelegentlich wahnsinnig wütend aufeinander. Aber es gibt dieses schöne Lied aus den Zwanzigerjahren: »Denn wir gehören ja doch zusammen.« Das haben wir oft gemeinsam gesungen, wenn der Streit vorbei war.
Kann man mit einem Partner nur streiten, wenn man ihn ernst nimmt, und ist das Streiten so gesehen sogar ein Zeichen einer guten Beziehung?
Das ist es sicher. Ich stelle mir eine Ehe ohne Streit furchtbar langweilig vor. Es sind immer zwei verschiedene Menschen, die aufeinanderprallen, aus verschiedenen Familien und mit verschiedenen Vorstellungen von »Gut« und »Böse«. Für manche ist es schon Untreue, wenn der Mann eine fremde Frau nur anschaut, andere lachen darüber. Wenn die Widersprüche so groß sind, muss man sich irgendwie einig werden, und das geschieht oft im Streit, mehr oder weniger.
Sie sind 1917 geboren. War die Liebe damals auch schon so kompliziert?
Ich sage Ihnen, was die größte Revolution in der Liebe war: die Antibabypille. Das war die Befreiung der Frau. Allerdings hieß das nicht automatisch, dass man seine Sexualität ausleben konnte, wie man wollte. Ich bin in gutbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen, meine Mutter war Lehrerin, mein Vater war Arzt. Bis zum Abitur war es für mich undenkbar, mit einem Jungen zu schlafen, dann wäre ich ein gefallenes Mädchen gewesen. Heute machen Mädchen das ganz selbstverständlich mit fünfzehn Jahren. Die fragen ihre Mutter: »Kannst du mir einen Arzt sagen, der mir die Pille verschreibt?«
Finden Sie das gut?
Ich finde das zu früh. Überhaupt, diese Sexualisierung. Ich habe dieses Buch von Charlotte Roche durchgeblättert, »Feuchtgebiete«. Wenn ich dort lese, wie sie den Finger hier oder da reinsteckt, vergeht mir die Lust, jemals noch Sexualität zu haben.
Es ist eine interessante Frage, ob das Explizite an der Sexualität uns stimuliert oder abstößt. Wahrscheinlich fanden manche Leser das Buch von Frau Roche, anders als Sie, unheimlich aufregend.
Das verstehe ich nicht. Wenn man die Sexualität in Worte fasst, dann ist das eine schleimige, lächerliche und unangenehme Geschichte. Nichts anderes ist es, wenn Sie jemanden beobachten, der Sexualverkehr hat – was soll der Quatsch?
Wie wichtig sind Geheimnisse in der Sexualität?
Sehr wichtig. Als Analytikerin kann ich Ihnen ein Geheimnis verraten. So etwas erzählt man nämlich höchstens dem Analytiker, sonst niemandem auf der Welt. Viele Menschen kommen nur zu einem Orgasmus, wenn sie während des Verkehrs bestimmte Fantasien haben. Oftmals stellen sie sich dabei andere Partner vor als die, mit denen sie tatsächlich gerade schlafen. Und das sollte wirklich jeder möglichst für sich behalten.
Man soll in Beziehungen also lügen?
Wenn Sie Aufrichtigkeit mit Taktlosigkeit gleichsetzen, dann ja, dann sollten Sie lügen. Man sollte einfach nicht jede Fantasie, die man hat, auch äußern. Das kann kein Schwein ertragen.
Umgekehrt wird jeder, der selbst lügt, seinen Partner mit einigem Misstrauen betrachten, etwa mit Eifersucht.
Ach, eifersüchtig ist doch jeder. Also, ich war immer sehr eifersüchtig. Mein Mann hat stets behauptet, er sei gar nicht eifersüchtig, aber als ich dann mal einen Blick auf einen anderen geworfen habe, gnade mir Gott! (Lacht.) Manche tun so, als ob sie dieses Gefühl gar nicht kennen. Bei genauem Hinsehen ist das unglaubwürdig.
Hatten Sie Fantasien in Ihrem Leben, die Sie besser niemandem mitgeteilt haben?
Ach, als junges Mädchen vielleicht. Ich lebte in Flensburg in der Nähe einer Marineschule, da gab es die Tanzstunden mit den Fähnrichen, das waren damals die tollen Typen. Ich hatte einen Freund nach dem anderen. Und dann plötzlich, von einem Moment auf den anderen, habe ich mich in meine Lehrerin verliebt. Ich habe nachts unter ihrem Fenster gestanden, um zu sehen, ob bei ihr noch Licht brannte. Ich hatte nie bewusst körperliche Wünsche ihr gegenüber, aber das war auch Erotik.
Sie waren also nicht bisexuell?
Na ja, immerhin war es so, dass mir Männer vollkommen wurscht waren in dieser Phase.
Können Sie uns beschreiben, wie sich die Liebe verändert über die Jahrzehnte?
(Lacht.) Ich kann Ihnen nicht einmal beschreiben, wie es mir morgen geht.
Aber Sie können
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