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Gleich bist du tot

Titel: Gleich bist du tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain McDowall
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konnte sie jetzt den ihr zugänglichen Bereich etwas näher unter die Lupe nehmen. Vor allem suchte sie nach einem Werkzeug, irgendeinem Ding, mit dessen Hilfe sie sich von ihrer Fußfessel befreien könnte. Aber sie fand nichts dergleichen. Auch nicht unter dem Bett und der Matratze. Nicht mal, als sie den Toilettenkasten im Bad öffnete. Ihre Handgelenke taten immer noch höllisch weh, und so setzte sie sich aufs Bett und massierte sie. Ihre Finger waren ganz steif. Und selbst wenn es ihr tatsächlich gelingen sollte, die Fußfessel loszuwerden, was konnte sie dann tun? Die Tür war fest verschlossen, und das Brett vorm Fenster sah stabil und solide vernagelt aus. Und was würde sie da draußen erwarten? Sie hatte keine Ahnung, was hinter der Tür lag und wie ernst die es mit ihrer Drohung meinten, dass sie sich ruhig verhalten und keinen Ärger machen solle.
    Denk positiv, versuchte sie sich einzureden. Wenigstens war sie nirgends allein zurückgelassen worden, und sie hatten ihr zu essen und zu trinken gegeben. Dazu kam, dass sie bereits lange genug hier war, um vermisst zu werden, auch wenn sie immer noch kaum ein Gefühl für die Zeit hatte. Dad würde sie vermissen, und selbst Kelly und Birgit würde auffallen, dass sie nicht zurückgekommen war. Ganz zu schweigen von Nick und dem Rest der Band. Sicher hatten sie längst versucht, sie auf dem Handy zu erreichen. Dad musste im Hotel angerufen haben und die Band in Boden Hall. Gemeinsam mussten sie draufgekommen sein, dass da etwas nicht stimmte. Wahrscheinlich hatten sie längst die Polizei verständigt. Wenn sie ihren Dad so gut kannte, wie sie dachte, würde er alle Hebel in Bewegung setzen, Gefälligkeiten einfordern und dafür sorgen, dass alles getan wurde, um sie zu finden. Das war bestimmt die Bande aus dem Fernsehen und der Zeitung, die eine weitere Wahnsinnsnummer produzierte. Aber sie würden sie doch wieder gehen lassen? Die anderen Frauen hatten sie doch auch wieder gehen lassen, oder etwa nicht?
    Sie nahm den Tetrapak von dem kleinen Bambustisch und trank noch etwas Wasser. Die Hauptsache war, dass sie nicht die Nerven verlor. Das war das Einzige. Wenn sie daran glaubte, dass sie hier wieder rauskam, dann würde sie es auch. Im Sommer ihres vierzehnten Geburtstags hatten Dad und Mum (da waren sie noch zusammen gewesen) in einem Aschram draußen in Sedona gelebt. Jeden Morgen bei Sonnenaufgang waren alle, Bewohner, Gäste, Erwachsene und Kinder, herausgekommen und hatten meditiert. Am besten hatte January damals eine Meditation gefallen, die sie immer noch von Zeit zu Zeit anwandte. Sie war insbesondere für Reisende gedacht und für Menschen, die sich an fremden, unvertrauten Orten wiederfanden. Die Welt ist mein Zuhause, und ich bin hier willkommen. Sie atmete jedes Wort, machte es sich zu eigen und bestätigte sich, dass es wirklich stimmte: dass sie immer und überall zu Hause war und ihr nichts Böses zustoßen konnte. Sie hielt ihre Stimme leise, es war kaum ein Flüstern, wieder und wieder sagte sie den Satz und ließ den Rhythmus zu einem Gesang werden.
    Jemand rüttelte an der Tür, dann flog sie auf. Eine der Frauen stand auf der Schwelle. Aber nicht die, die vorher hier gewesen war. Es war die andere, die größere. Ohne gleich zu begreifen, was das bedeutete, sah January, dass die Frau etwas in der Hand hielt, das wie ein dicker Ledergurt aussah.
    Die Frau kam in den Raum herein.
    »Dir ist befohlen worden, den Mund zu halten«, sagte sie. »Du bist gewarnt worden, nicht ein Wort laut auszusprechen.«
     

30
    Es gab zwei freie Plätze auf dem Angestelltenparkplatz, einen mit dem Schild »Stellvertr. Direktor« und einen ohne Schild. Kerr, unfähig, sich über den Schuljungen in sich hinwegzusetzen, nahm den ohne Schild. Er stieg aus, schloss den Wagen ab und ging Richtung Haupteingang. Unter einer der für die Operation Icarus eingerichteten Telefonnummern war ein Hinweis eingegangen, der nicht gleich als erdichtet oder verrückt abgetan werden konnte. Eine Frau, die am letzten Samstag im »Wynarth Arms« gewesen war, hatte sich gemeldet und gesagt, sie glaube, sich mit einem Mitglied der Art-Gang unterhalten zu haben. Die Frau arbeitete als Kunstlehrerin an der Simonde-Montfort-Gesamtschule, und ihre Beschreibung des Mannes klang nach »Adrian«. Kerr hatte sich mit ihr für ihre Nachmittagspause verabredet. Jacobson war im Präsidium geblieben, um ein paar Dinge zu koordinieren und zu »denken«.
    Ein schweigsamer Junge wurde dazu

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