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Gleich bist du tot

Titel: Gleich bist du tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain McDowall
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Leben hatten die Menschen sie gemocht und ihre warme, sichere Welt aus Wohlstand, Talent und Schönheit beschützt. Der körperliche Schmerz war nur für einen Teil ihrer Tränen verantwortlich, der Rest war psychologisch, aus ihrer Angst und Machtlosigkeit und einer merkwürdigen Form von Scham geboren, die sie nicht durchschaute. Schließlich war es nicht ihr Fehler, dass sie in dieser Lage war. Sie hatte sich sogar zu wehren versucht, als die Bande sie in den Kofferraum gesteckt hatte. Sie hatte sich gewehrt und zu fliehen versucht, und jetzt war sie gefesselt und saß in der Falle. Ohne eine Chance, als die Frau hier hereingestürmt kam. Weshalb also schämte sie sich? Ich bin nackt und die nicht. Der Gedanke überraschte sie, und sie wiederholte ihn, erstaunt über seine Wahrheit. Sie hatte sich in ihrem bisherigen Leben noch nie über Nacktheit Gedanken gemacht und keinerlei Komplexe, was ihren Körper oder den anderer Leute betraf. Aber das hier war anders, begriff sie. Hier war ihre Nacktheit ein weiteres Element in dem dreckigen kleinen Machtspiel, das sie zu spielen schienen. Ein weiterer Teil der Kontrolle über sie. Ich habe noch nicht mal ihre Gesichter gesehen, sie aber alles von mir. Sie hatte vornehmlich auf dem Bauch gelegen, seit die Frau wieder weg war, und ihren Tränen freien Lauf gelassen. Sie beschloss, sich jetzt aufzusetzen und vielleicht sogar aufzustehen. Sie musste versuchen, die Panik in den Griff zu bekommen, die sie zu überwältigen drohte.
    Sie lehnte sich über den Rand des Betts und griff nach dem Saftkarton auf dem Boden. Er musste bei dem Angriff auf sie umgefallen sein, wenn sie sich auch nicht daran erinnern konnte. Sie stand auf, humpelte ins Bad, füllte den Karton mit kaltem Wasser und trank gierig ein paar Schlucke. Sie konnte lange ohne etwas zu essen auskommen, das wusste sie, zu dehydrieren war jedoch etwas ganz anderes, das konnte innerhalb von Stunden zu Konsequenzen führen. Über dem Waschbecken hing ein winziger Spiegel mit einem Sprung, und am Rand pellte die silberne Folie ab. Als sie genug getrunken hatte, drehte sie sich um und sah sich über die Schulter darin an. Sie musste sich etwas bücken, um sich in den Blick zu bekommen. Als sie sah, was die Frau ihr angetan hatte, fingen die Tränen erneut an zu laufen. Sie musste sich auf die Zähne beißen, um wegen des Schrecks, den sie bekam, nicht laut loszuschluchzen.
    Wie eine Verrückte war die Frau auf sie losgegangen, hatte sie herumgewirbelt, aufs Bett gestoßen und mit ihrem ganzen Gewicht darauf festgehalten. Völlig gnadenlos hatte sie auf ihren Rücken eingeschlagen, mit dem Gürtel und auch mit der Schnalle. January schrie, sie solle aufhören, aber die Frau hatte getan, als hörte sie nichts, und hatte wie in Ekstase weiter auf sie eingedroschen. Als sie endlich fertig war, packte sie Januarys Haar und riss ihr den Kopf schmerzvoll zur Seite.
    »Siehst du?«, schrie sie ihr ins Ohr und deutete mit der anderen Hand auf das Licht oben an der Decke. »So was nennt man eine Webcam, du blöde, dumme Schlampe. Wir können alles sehen und hören, was du hier machst, verstanden? Alles.«
    January hatte gehorsam genickt. Dazu hatte sie die Lippen bewegt, aber was zwischen ihnen hervorgekommen war, das war kaum ein Flüstern gewesen, eine sehr leise, verängstigte Stimme, die sie kaum als ihre erkannte:
    »Ja, ich verstehe.«
    Da erst hatte die Frau sie losgelassen, hatte sich aufgerichtet, wie eine Herrscherin über ihr gestanden und beobachtet, wie January sich vom Bett erhob, voller Angst, ihren Rücken auch nur zu berühren, obwohl sie doch wissen wollte, wie schlimm sie verletzt war. Die Frau war maskiert, und January konnte nur ihre Augen und einen rosa Teil ihres Mundes sehen. Aber sie wusste, dass die Frau gelächelt hatte und in Hochstimmung gewesen war, als sie ihr Opfer betrachtete. January hatte das Gefühl, dass die Frau etwas getan hatte, das sie schon seit langer, langer Zeit einmal hatte tun wollen. Dabei meinte sie nicht unbedingt January persönlich, nein, es hätte irgendwer sein können, völlig egal, solange sie ihn nur festhalten und schlagen konnte, bis er sie anflehte aufzuhören, bis er vor Schmerzen wimmerte.
    Ihr Rücken sah wie gestreift aus, rot, geschwollen und verkrustet, wo sie geblutet hatte. Die Zeit verlor immer mehr ihren Wert als nützliche Kategorie, aber vor wahrscheinlich nicht einmal einem Tag war sie noch January Shepherd gewesen, John Shepherds Tochter, die Sängerin und

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