Gleich bist du tot
Sonntagmittag ins Büro zu kommen und das Computersystem hochzufahren. Ray Williams war noch bei ihm und versuchte mehr aus ihm herauszubekommen. Fest stand, dass die Wohnung Nummer vierunddreißig in der Hutfabrik seit letzter Woche neu vermietet war. Emma las ihm die Angaben zum Mieter vor. Noch ein sechsundzwanzigjähriger Mann, und wieder eine Adresse in Nordlondon, die allerdings mit der anderen nichts zu tun hatte. Und auch beim Vor-, Mittel- und Zunamen gab es keine Übereinstimmung.
9
Am späten Nachmittag war Adrian endlich mit dem Schnitt zufrieden. Er schloss den Laptop an den Fernseher an, und die vier setzten sich zusammen, um sich den Film anzusehen. Diesmal gab es keinen großen Plasmaschirm vom Vermieter, sondern sie mussten mit dem kleinen tragbaren Fernseher vorliebnehmen, den sie in ihrem Transporter mit sich herumtrugen. Der 20-Zoll-Bildschirm war nicht viel größer als der des Laptops, aber Adrian war ein wirklicher Freak und in technischer Hinsicht erst glücklich, wenn er sah, wie das, was er auf dem Computer produziert hatte, außerhalb des Systems aussah. Sobald er alles startbereit hatte, setzte er sich auf das große Sofa. Brady hatte sich mit Annabel bereits auf dem anderen Ende davon niedergelassen. Maria war immer noch in ihrem knappen Bademantel und kniete wie so oft zu Bradys Füßen, aber wenigstens erlaubte er ihr, sich umzudrehen und wie alle anderen auch den Film zu genießen.
Brady hatte darauf bestanden, als Eröffnungsmusik Saint-Saëns’ ›Danse Macabre‹ zu nehmen. Adrian war dagegen gewesen, weil er die Musik für beschissen schmalzig und des Projekts nicht würdig hielt. Wann immer ein gelangweilter, einfallsloser Regisseur ein Horrorskript in der Hand hielt, wurde sie aus der Versenkung geholt. Aber Arschloch Brady hatte sich darauf versteift, und so war es der ›Danse Macabre‹, der den Titel und die Eingangssequenz begleitete, in der man die gute Tracey sah, wie sie mit ihrem Versagerfreund neben sich im »Club Zoo« saß. Maria hatte die wackligen Bilder mit ihrem Handy aufgenommen und sich wegen der schlechten, verschwommenen Qualität Sorgen gemacht. Aber Adrian hatte ihr versichert, dass sie ihre Sache gut gemacht habe, und sagte es Brady jetzt ausdrücklich noch einmal. Das war genau das, was sie als Einstieg wollten, eine kleine stilistische Verbeugung vor den alten Kinopionieren. Adrian hatte Marias Material mit einigen wunderbar schaurigen Aufnahmen des mondbeschienenen Waldes verschnitten, in dem die Geschichte des Mädchens schließlich ihr Ende finden sollte, und noch ein paar Takes aus dem Inneren des »Club Zoo« hinzugefügt, die er von der schlecht gemachten Website des Clubs herunterkopiert hatte.
Es war ihm gelungen, Brady die Sargszene auszureden. Sie hätte funktionieren können, wenn ihnen im Sarg selbst vernünftige Aufnahmen gelungen wären, vom Gesicht des Mädchens beispielsweise, aber dem hatten zu viele praktische Probleme entgegengestanden. Er hatte damit herumprobiert, eine Webcam unter den Deckel zu bauen, doch die Lichtprobleme waren nicht zu lösen gewesen. Drinnen zu filmen war eine super Idee, man musste sich nur ansehen, was Tarantino in ›Kill Bill‹ und ›CSI‹ gelungen war. Aber das war eben Tarantino. Mit einer ganzen Profi-Mannschaft und den entsprechenden Studios samt Ausrüstung. Von außen jedoch sah man nichts als die Kiste und hörte ein wenig Klopfen und Wimmern. Der Zuschauer konnte nicht wissen, ob da wirklich jemand drin lag oder ob die Sequenz einfach nur geschickt zusammengeschnitten war. Damit war der Sargquatsch draußen, überhaupt die ganze Grand-Guignol-Nummer. Die Umhänge und das schräge Gesinge. Von Beginn an hatte Adrian versucht, Brady da auf die richtige Schiene zu bringen. Dass man auf das, was man konnte, auf seine Stärken bauen und aus der Beschränkung und Einfachheit eine Tugend machen sollte. Denk Dir ›Blair Witch‹ in umgekehrter Form, sagte er immer wieder und versuchte seine große Vorstellung in ein Brady-freundliches Konzept zu gießen. Was Adrian nicht rausgeworfen hatte, war die Reaktion des Mädchens, als sie die Umhänge und Kapuzen auf sich zukommen sah. Jener wertvolle, jungfräuliche Augenblick, wenn die Angst sie zum ersten Mal packt, wenn sie begreifen, dass sie es versägt haben, einfach weil sie jetzt da an diesem Ort sind statt irgendwo anders, wo es hübsch und nett ist. Dass sie in eine verdammt unangenehme Sache geraten sind. Adrian hatte das Material so
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