Gleichklang der Herzen
die beiden drohend an. „Wollt ihr mir endlich erklären, was hinter diesem ganzen Getue steckt?“
Statt einer Antwort nahm Hugh Carlyon einen Brief vom Tischchen neben dem Kamin.
„Lies das, bitte.“
Der Herzog zückte sein Lorgnon, erkannte die Schrift auf dem Umschlag und sagte: „Von Ravella!“
„Ja“, bestätigte Hugh Carlyon.
„Wo ist mein Mündel? Warum ist sie nicht hier und begrüßt mich ebenso überschwänglich wie ihr beide?“
Nach einem Augenblick der Stille sägte Hugh Carlyon: „Sie hat das Haus verlassen, Sebastian.“
„Verlassen?“, fragte der Herzog scharf. „Wohin ist sie gegangen?“
Jetzt war Lady Harriette an der Reihe, und ihre Worte überschlugen sich fast.
„Das wissen wir ja nicht, und deshalb haben wir so ungeduldig auf deine Rückkehr gewartet. Oh, Sebastian, ich kann einfach nicht begreifen, was geschehen ist und warum sie weggelaufen ist.“
„Bist du ganz sicher, dass sie weggelaufen ist?“
„Ja, sie hat mir eine Nachricht hinterlassen. Hier ist sie.“
Mit zitternder Hand zog sie einen Zettel aus ihrem Beutel. Er war ganz zerknittert, denn sie hatte ihn immer wieder hervorgeholt und gelesen. Als sie an diesem Morgen aufgewacht war, hatte man ihn ihr ans Bett gebracht. Der Herzog nahm den Zettel und las.
„Meine liebste Madam, ich bin weggegangen, an einen Ort, der mir Sicherheit bietet. Machen Sie sich bitte keine Sorgen! In einem Brief an den Herzog habe ich alles erklärt. Ich werde mich an viele glückliche Tage erinnern. Leben Sie wohl. Ich werde Sie nie vergessen. Ravella Shane.“
„Wann hast du das bekommen?“, fragte der Herzog.
„Heute Morgen gegen zehn Uhr. Ich hörte von der Zofe, dass Ravella das Haus in der Morgendämmerung verlassen hat, ganz allein.“
„Allein?“
„Ja, niemand hat sie begleitet. Sie hat alles, was sie besaß, hier zurückgelassen, Sebastian. Von ihrer Garderobe fehlt nur ein schlichtes Kleid, ihr Reisemantel und eine Kapuze. Im ersten Augenblick fürchtete ich …“
Lady Harriette brach in Schluchzen aus, und Hugh Carlyon legte tröstend den Arm um sie.
„Harriette fürchtete, Ravella könnte ins Wasser gehen. Ich. bin jedoch sicher, dass das eine überflüssige Befürchtung ist. Aber willst du uns nicht endlich beruhigen und lesen, was sie dir geschrieben hat?“
Er hielt den Brief noch immer in der Hand und überreichte ihn nun dem Herzog. Der drehte ihn eine Weile hin und her und zögerte, das Siegel zu zerbrechen. Schließlich tat er es, und Lady Harriette verfolgte mit höchster Spannung den wechselnden Ausdruck auf seinem Gesicht.
Es dauerte lange, bis der Herzog die eng beschriebenen Blätter gelesen hatte. Dann reichte er seiner Schwester wortlos zwei Bogen, ging zum Fenster und starrte hinaus. Lady Harriette versuchte zu lesen, was Ravella geschrieben hatte, aber ihre Augen waren blind von Tränen. Die Aufregung der letzten Stunden war zu viel für sie gewesen.
„Ich kann nichts entziffern. Oh, bitte, Hugh, lies mir vor. Ich habe Angst vor dem, was drin steht.“
Sie betupfte ihre Augen mit ihrem winzigen Taschentuch. Hugh Carlyon nahm den Brief und las ihn langsam und deutlich vor.
„Mein lieber, lieber Vormund, ich bin weggegangen, wie du es gewünscht hast. Mr. Hawthorn wird dir berichten, dass ein anderes Testament gefunden worden ist und ich nicht mehr die Erbin bin. Ich bin sicher, dass Lord Wroxham dir die Banknote zurückerstatten wird, die ich ihm gab, um ihn vor dem Schuldgefängnis zu retten.
Nun kann ich dir auch sagen, dass ich die andere Banknote dem Grafen Jean de Fauberg gegeben habe, und zwar im Austausch gegen einen Brief, der sonst Seiner Majestät überbracht worden wäre. Er hätte dich entehrt. Ich hatte mein Ehrenwort gegeben, nicht vor Ablauf von achtundvierzig Stunden darüber zu sprechen.
Der Graf hat mir gesagt, dass du seine Cousine, die Prinzessin Heloise, heiraten wirst. Ich wünsche dir viel Glück. Ich will auch versuchen, dir irgendwie das Geld zurückzuzahlen, das ich bereits ausgegeben habe. Was Mr. Hawthorn mir dazu vorgeschlagen hat, werde ich aber auf keinen Fall tun.
Ich weiß, wie lästig ich dir in vieler Hinsicht gewesen bin. Bitte, denk manchmal freundlich an dein reumütiges Mündel, Ravella Shane.“
Als er zu Ende gelesen hatte, legte Hugh Carlyon nochmals tröstend seinen Arm um die hemmungslos schluchzende Lady Harriette.
„Sei nicht mehr traurig, Liebes“, sagte er. „Sie ist in Sicherheit.“
„Ja, aber wo? Und wie sollen wir sie
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