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Gleitflug

Gleitflug

Titel: Gleitflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Gine Goemans
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Täuschung war.
    Fasziniert betrachtete er die Fleischmasse. Nur langsam wurde ihm bewusst, dass darin ein Mensch wohnte. All das Fleisch gehörte zu einem Mann. Und der Fleischmann war offenbar in Schwierigkeiten. Der Reifen eines seiner Hinterräder war platt. Der Mann versuchte, sich vom Sitz hochzuwuchten, sackte aber auf halbem Weg zurück. Minuten vergingen. Toon und sein Müllfreund kamen nicht vorbei. Gieles wartete, der Mann wartete. Reglos und verlassen. Er bat nicht um Hilfe. Passanten schauten ihn an, als wäre er in seiner eigenen Scheiße stecken geblieben.
    Gieles nahm sich vor, unauffällig aus dem Laden zu schlüpfen und dann mit dem Bus nach Hause zu fahren. Schnell ging er hinaus.
    Nicht hinsehen!
    Aber er konnte es doch nicht lassen, und genau in diesem Moment kreuzten sich ihre Blicke. Der Mann schaute ihn an wie der letzte Hund im Tierheim, der jetzt seine ganze Hoffnung auf Gieles setzte. Es wäre mies gewesen, so zu tun, als sähe er ihn nicht.
    Zögernd ging er auf ihn zu. »Sie haben … einen … Platten.«
    »Ich weiß«, tönte es aus den Fettschichten. »Das Problem ist, dass ich so nicht weiterfahren kann. Dann ruiniere ich die Felgen.«
    Den letzten Satz sprach er so schuldbewusst aus, dass Gieles gleich noch mehr Mitleid empfand.
    »Können Sie gehen?«, fragte er.
    »Wenn ich mich an irgendetwas festhalten kann, müsste das möglich sein.« Seine Stimme gehörte zu einem schlanken Mann, und er sprach flüssig und schnell. »Ich wohne gleich da hinten.«
    »Dann könnte ich fahren.« Schon während Gieles das sagte, bereute er es. »Mein Onkel hat auch ein Elektromobil, und das fahre ich manchmal.«
    »Ich nehme dein Angebot gerne an«, sagte der Mann erleichtert und streckte die Hand aus.
    Gieles starrte den Speckklumpen fassungslos an. Dann versuchte er seinen Abscheu zu verbergen und schüttelte die Masse, in der seine eigene Hand verschwand, als würde er einen Baseballhandschuh anziehen.
    »Super Waling. Nett, dich kennenzulernen.«
    »Gieles. Gieles Slob.«
    Mit äußerster Anstrengung wuchtete der Mann seinen Monsterleib von dem Elektrokarren. Gieles wollte ihm dabei nicht zuschauen, deshalb blickte er nach oben, zum Himmel. Ein Flugzeug flog niedrig über das Einkaufszentrum, der weiße Bauch sah verletzlich aus.
    »Könntest du für ein bisschen Gegengewicht sorgen?«, keuchte der Mann. »Ja, dort … hinten … ja … so, ja … sehr gut.«
    Gieles nahm auf dem Elektromobil Platz. Der Sitz war noch warm. Mühsam schluckte er seine Spucke hinunter. Während er noch langsamer als Schritttempo fuhr, hielt sich der Mann mit der rechten Hand an der Rückenlehne fest. Nach hundert Metern blieb er schwankend stehen. »Ich weiß das sehr zu schätzen«, brachte er pfeifend und nach Luft schnappend hervor. »Wirklich … sehr …«
    Weglaufen war ausgeschlossen. Neben ihm bewegte sich der Koloss schlingernd und wie in Zeitlupe.
    Sie kamen an Läden und einem Restaurant vorbei. SPARE RIBS – ESSEN, SOVIEL SIE WOLLEN stand auf einem Schild. Gieles überlegte, ob das wohl für jeden galt.
    Nach einer Ewigkeit blieben sie vor der orangefarbenen Tür eines kleinen, noch relativ neuen Reihenhauses stehen. Der Mann schloss mit zitternder Hand auf.
    »Komm herein«, ächzte er atemlos.
    »Eigentlich muss ich jetzt los«, sagte Gieles zu dem gigantischen Rücken, während der Mann mit winzigen Schritten in Richtung Wohnzimmer schlurfte. Er antwortete nicht.
    Gleich bricht er noch tot zusammen. Ich warte, bis er sitzt, dann hau ich ab.
    Der Mann ließ sich in einen großen Sessel fallen. Gieles blieb in der Tür stehen.
    »Setz dich.« Sein Gesicht war voll merkwürdiger violetter Flecken.
    »Oder besser noch, hol dir bitte etwas zu trinken … hast du dir wirklich verdient … da in der Küche … am Ende des Flurs.«
    Ich geh zur Haustür und renne weg.
    Gieles rannte nicht weg. Er ging brav in die Küche, die aussah, als würde sie nie benutzt. Der Kühlschrank war erstaunlich klein. Auch der Inhalt überraschte ihn. Er hatte eimerweise Mayonnaise erwartet. Brocken Käse, Berge Fleischwurst, Kilopacks Bratfett. Stattdessen nur etwas Milch, Kefir, Yoghurt, Vla. Die Gemüseschublade war voller Dosen mit Cassis-Limonade. Gieles nahm sich eine davon und betrachtete die Wand, die mit Faltprospekten von wahrscheinlich sämtlichen Lieferservice-Firmen der Gegend behängt war. Gieles aß nie Fast Food. Onkel Fred hielt nichts davon.
    Aus dem Wohnzimmer war ein leises Brummen zu hören.
    Gieles

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