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Gleitflug

Gleitflug

Titel: Gleitflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Gine Goemans
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und voll. Am liebsten bis zum Rand. Das mögen die Männer.« Die Köchin kniff ein Auge zu. Ides Mutter errötete, senkte den Kopf und nahm schnell einen Löffel Brei, aber Sophias Augen funkelten vor Vergnügen. Sie liebte die Zweideutigkeiten der Köchin.
    Auf das Essen selbst gab sie zu Hause nicht viel. Sie hatte nie besonderen Appetit und erst recht keinen Hunger. Ihr Leben spielte sich hauptsächlich drinnen ab, eine selbstverständliche Mahlzeit folgte der anderen, und irgendwann schmeckte sie den Unterschied zwischen Lammschmortopf und Schweinebraten nicht mehr.
    Sie war nicht gern im Haus. Sie liebte die Welt draußen, die Straße. Die Gerüche, die Geräusche, die bunten Farben auf dem Markt, das Treiben der Händler, die schreiend ihre Waren feilboten. Manchmal durfte sie die Köchin dorthin begleiten. Stunden waren sie dann unterwegs, weil sich die Köchin so langsam bewegte. Jeder Schritt kostete sie große Anstrengung. Wenn Sophia die Ohren spitzte, konnte sie das Fleisch der großen Frau schwabbeln hören.
    Auf dem Markt nahm Sophia alle Einzelheiten begierig in sich auf. Keifende Weiber. Hühner in Käfigen. Fliegen auf einem Fischkopf. Den Duft von frisch geröstetem Kaffee oder von Wein. Die Köchin, die mit bedenklicher Miene ein abgehäutetes Kaninchen hochhielt.
    »Das ist nicht frisch!«
    »Nicht frisch?!«, entgegnete der Händler beleidigt. »Das Kaninchen ist so frisch, dass es noch Gras im Maul hat! Frischer geht’s wohl nicht.«
    » Dummtüüch! Wenn das Tier hier frisch ist, dann bin ich so schlank wie Frühlingslauch.«
    Das neckische Gefeilsche der Köchin, immer mit einem koketten Unterton, war ein Ritual, das Sophia genoss. Hin und wieder durfte sie es selbst versuchen.
    »Sag ihm, dass die Schrumpeldinger da vom vorletzten Jahr sind«, flüsterte die Köchin ihr zu.
    »Die Kartoffeln sind alt«, erklärte sie dem Händler und musste kichern.
    »Sag ihm, dass wir nur aus Mitleid mit den Schrumpeldingern sechs Pfund für zwei Cent kaufen.«
    Die Erfahrungen mit dem Feilschen halfen ihr jetzt. An den Marktständen in Hillegom versuchte sie, möglichst billig an Essbares zu kommen. Nur dass es kein vergnügliches Spiel, sondern bittere Notwendigkeit war. Sie roch Würste und Aal. Frisches Brot, Artischocken, Gewürze. Das süße Fleisch von Rebhühnern und Ochsen. Das Aroma von Zucker und Butter. Wenn niemand hinschaute, streichelte sie die Haut eines Apfels. Alles trieb ihr das Wasser in den Mund. Kaufen konnte sie nichts von diesen Dingen. Sie betrachtete sie, behielt die Gerüche im Gedächtnis und buk in der Hütte Pfannkuchen für Ide und die acht neuen Bewohner.
    Es waren Männer aus allen Gegenden des Landes, mit denen sie die Hütte teilen mussten. Sie schliefen auf Stroh und deckten sich mit Lumpen zu. Weit genug von Sophia entfernt, um sie nicht anfassen zu können. Aber so nah, dass man jedes Ein- und Ausatmen hörte. Nachts zählte sie die verschiedenen Geräusche, bis sie einschlief. Das Schreien von Säuglingen. Das Husten von Kindern. Das Schnarchen und Furzen von Männern, die sich noch im Schlaf kratzten und scheuerten, betäubtvom Alkohol, ihrem Helfer auch gegen die Kälte. Das Schimpfen von streitenden Paaren. Das Geraschel von Ratten und Mäusen. Kreischen, Lallen, Ächzen, Jammern, Stöhnen, Röcheln, Keifen, Brüllen, Kotzen, Plärren. Ides schwerer Atem, den sie auf ihrer Stirn spürte.
    Nie war es still in der Siedlung. Sie wunderte sich darüber, dass Menschen so laut sein konnten. Zu Hause in dem Backsteingiebelhaus hörte sie nur das feine Ticken der friesischen Uhr.
    Um drei endete der nächtliche Lärm. Die Männer standen auf, um zur Arbeit zu gehen. Ide löste sich aus ihren Armen. Er lag auf dem Rücken, sie halb auf ihm, damit sie den feuchten Boden nicht spürte. Vorsichtig glitt er unter ihr weg und ging hinaus. Ohne die Männer war es stiller. Es gab mehr Luft zum Atmen. In den wenigen Nachtstunden, die noch blieben, schlief Sophia ihren tiefsten Schlaf.
    Die Aufgaben waren klar verteilt. Sophia kümmerte sich um den Haushalt, die Männer verdienten ein wenig Geld. Sie sah Ide selten, Sechzehnstundentage waren nichts Besonderes. Solange es hell war, wurde gearbeitet. Sophia klagte nicht, obwohl das Abenteuer unerfreulich und rau sein konnte. Der Ehering war aus ihrem Koffer gestohlen worden, außerdem ein Paar Strümpfe und eine Unterhose. Woran sie sich nicht gewöhnte, war der Dreck, in dem sich das Poldervolk suhlte. Die Haut dieser Menschen war

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