Gleitflug
würde trockengelegt sein.
»Name?«, bellte jemand.
Ide schaute hinunter auf gelbliches Kraushaar, das zu dem Mann hinter dem Tisch gehörte. Es erinnerte an den Schaum am Strand, in den er als Kind so gern getreten war. Der Mann war der Einzige, der keine Mütze trug.
»Name!«, wiederholte er ungeduldig.
Ide antwortete schnell.
» WIE ?«
Ide wiederholte seinen Namen.
»Hidde Werren«, notierte der mützenlose Mann, der Ides Tonfall offenbar schlecht verstand. Schweigend drehte er die Kladde um und schob sie zu Ide hin.
»Richtig«, sagte Ide aufs Geratewohl. Nicht einmal seinen eigenen Namen konnte er lesen.
»Die Arbeit beginnt um halb vier. Du bekommst siebzig Cent pro Tag und schläfst in der Hütte dort.« Ein brauner Finger zeigte zur Seite.
»Sie meinen diesen Verschlag ohne Dach?«, fragte Ide den gelben Kopf. Dessen Besitzer hatte sich wieder ganz seinen Papieren zugewandt.
»Sophia, meine … meine Frau, ist bei mir.«
»Deine Sache.«
»Aber da ist kein … äh … das ist eine Hütte ohne …«
»Hast du keine zwei Hände?«, rief der Mann und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Der Nächste!«
Ide ging zu Sophia. Ihr Blick war immer noch finster vor Wut. Sie erzählte Ide, wie roh man das kleine Mädchen behandelt hatte, und zeigte auf den schmutzigen Leib. Ide wollte das schlafende Kind nicht ansehen, er wollte rasch die Hütte decken, um seine Geliebte vor allem Unheil von oben zu schützen.
»Wir nehmen sie mit«, sagte Sophia aus einer mütterlichen Regung heraus.
»Kommt nicht in Frage.« Er warf nun doch einen flüchtigen Blick auf das Mädchen. »Ihre Eltern sind hier auch irgendwo. Du kannst nicht einfach irgendein Kind zu dir nehmen.«
»Sie hat niemanden!«, rief Sophia. »Welche Mutter würde ihr Kind so herumlaufen lassen! Die Läuse fressen sie auf. Sie haben ihr schon das Blut ausgesaugt!«
»Sophia, alle Kinder hier sind mager und krank. Sieh dich doch um!«
Wütend verschränkte sie die Arme. Sie wusste, dass er recht hatte, aber den Anblick der anderen Kinder ersparte sie sich jetzt lieber.
Am nächsten Tag wurde Sophia von Geschrei geweckt. Daran musste sie sich erst gewöhnen, obwohl sie es nicht allzu unangenehm fand. Ihre Eltern erhoben selten die Stimme, und dass sie brüllten, war undenkbar, selbst wenn Sophia sie mit ihrem Temperament zum Äußersten trieb.
Sie schüttelte Stroh aus ihren klammen Kleidern und ihrem Haar. Aufrecht zu stehen war unmöglich, die Hütte war bestenfalls viereinhalb Fuß hoch. Gähnend ging sie hinaus, es war noch dunstig, denn nachts hatte es getaut. Sie fragte sich, wo Ide seinmochte. Lange vor Tag war er aufgebrochen, nachdem er die Hütte mit Schilf gedeckt hatte. Ein Nachbar hatte ihm dabei geholfen, für die noch halbvolle Flasche Jenever.
Zwischen den Hütten sah sie nur Frauen und Kinder. Alle schienen sehr beschäftigt zu sein. Womit, wusste sie nicht. Sie trat ein Steinchen weg und bohrte ihren Absatz in die Erde. Dann schaute sie sich nach dem schmutzigen Kind um, dem sie ihr Nachthemd angezogen hatte. Es war viel zu lang gewesen.
»Rote Hexe!«, riefen zwei Knirpse und rannten auf nackten Füßen davon.
»Ja, macht nur, dass ihr wegkommt!«, schrie Sophia ihnen nach. Sie formte mit den Händen einen Schalltrichter. »Ich kriege euch schon noch!«
»Hör auf mit dem Gebrüll«, schnauzte eine Frau sie im Vorbeigehen an.
»Ich brülle nicht!«, schrie Sophia, dann musste sie lachen.
Die Frau schaute sie verwundert an und zog die Mundwinkel zu einem unbeholfenen Lächeln hoch. Ihr Gesicht zwischen zwei dicken Zöpfen war freundlich, aber sehr müde.
»Wo ist deine Mutter?«
»Meine Mutter? Ich bin mit Ide hier, meinem Mann. Wir kommen aus Zeeland.«
Sophia versuchte, möglichst vornehm und ohne Akzent zu sprechen.
Die Frau musterte sie misstrauisch. »Dann hast du aber reichlich jung geheiratet. Wie alt bist du denn überhaupt?«
»Alt genug.« Sie hob den Daumen mit dem goldenen Ring. »Sag mal, weißt du, wo die Männer arbeiten?«
»Einfach gradeaus, den Graben da entlang bis zum See.«
Sophia hüpfte an den Hütten vorüber. Sobald sie durch die Wiesen ging, hatte sie die bedrückende, stinkende Siedlung fast schon vergessen. Gierig atmete sie die frische Mailuft und folgte dem Graben. Als die Hütten weit genug hinter ihr lagen,trank sie Wasser. Sauberes Wasser gibt es dort, wo keine Menschen sind, sagte ihr Vater immer. Sie wusch sich Hände und Füße und spritzte sich auch Wasser zwischen die
Weitere Kostenlose Bücher