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Gleitflug

Gleitflug

Titel: Gleitflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Gine Goemans
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noch schmutziger als die Lumpen an ihren Leibern. Ihnen war alles egal. Sie verrichteten ihre Notdurft dort, wo sie auch aßen, löschten die Glut der Kochfeuer mit Urin und tranken Wasser aus Gräben, in die sie ihren Darm entleert hatten. Die Verwaltung hatte einen Filterapparat zur Reinigung des Trinkwassers aufstellen lassen, doch niemand wusste damit umzugehen.
    Sophia versuchte vergeblich, Akkie die Grundregeln der Hygiene beizubringen.
    »Du musst dir die Hände waschen«, sagte sie zum Beispiel, wenn Akkie mit schwarzen Fingern Kartoffeln schälte. Sie ließen dunkle Streifen auf den Knollen zurück. »Sonst wirst du deinen Durchfall nie los«, fügte sie mahnend hinzu.
    »Das«, entgegnete Akkie und streckte die Hände aus, »das sind Arbeitshände. Die müssen so aussehen. Du hast keine Arbeitshände.« Und sie schälte unbeeindruckt weiter.
    Sie saßen draußen auf Hockern im Schatten der Hütte. Es war ein warmer Tag.
    Sophia hatte keine Vorstellung, wie alt die Frau sein mochte. Sie sah aus, als habe sie den größten Teil ihres Lebens hinter sich, und doch wuchs in ihrem Bauch ein Kind. Einer ihrer Mundwinkel war ein Stück eingerissen. Einseitige Ernährung, würde ihr Vater diagnostizieren. Sophia nahm sich vor, bei den Bauern der Gegend Äpfel und vielleicht auch ein Huhn zu »borgen«.
    »Was machst du eigentlich hier?«, fragte Akkie und blickte Sophia scharf an.
    »Wie meinst du das?«
    »Na, wie ich es sag. Du bist nicht wie wir. Man braucht ja nur deine Haare sehen, deine Hände, dein Gesicht. An dir ist nichts kaputt. Hast nur das schiefe Gesicht, sonst nichts.«
    »Ich habe kein schiefes Gesicht«, erwiderte Sophia gekränkt.
    »Doch«, sagte Akkie und streifte einen Ärmel hoch. »Da, das ist eine Brandwunde.« Sie zeigte auf einen gezackten Fleck an der Innenseite des Unterarms.
    »Und wo die Kuhle hier ist, war mal ein Riesengeschwür voll Eiter. Da kann ich draus trinken.« Jetzt schob sie eine Haarsträhne von ihrer Schläfe. »Schlag mit ’ner Harke.«
    »Grässlich«, flüsterte Sophia. »Wer tut so etwas?«
    »Mein Bruder«, antwortete Akkie unbewegt. »Der tat so was.«
    Und als wäre all das nicht genug, zerrte sie einen Fuß aus dem alten Schuh und streckte ihn Sophia hin. Zwei Zehen fehlten.
    »Erfroren, als ich acht war. Mein Vater hat die toten Stümpfe mit der Kneifzange abgedreht.«
    Sophia schwieg, während Akkie den Fuß wieder in den Schuh zwängte und weiterschälte.
    »Ich wollte bei Ide sein«, erklärte sie nach einer Weile. »Deshalb bin ich mit ihm weggegangen. Seine Mutter war unsere Haushälterin.«
    »Haushälterin?«, rief Akkie. »Was war denn dann dein Vater? Bürgermeister? Pfarrer? König? Ha! Hör auf!«
    Die Stimme der Friesin hatte einen harten Klang angenommen. »Mädchen, halt jemand anders zum Narren. Wenn ihr ’ne Haushälterin gehabt hättet, dann würdest du nicht hier mit dem Hintern im Dreck sitzen.«
    Kopfschüttelnd stand sie auf, ging in die Hütte und kam mit einer Steingutflasche Jenever zurück.
    »Ich muss unbedingt mal wieder tanzen.« Sie tat ein paar tüchtige Züge. »Zu Hause hab ich getanzt bis zum Umfallen. Aber hier gibt’s ja nichts zu erleben.«
    »Du und Hayo«, begann Sophia. Sie wollte dieses zynische Gerede nicht mehr hören. »War das Liebe auf den ersten Blick?«
    »Liebe?«, fragte Akkie spöttisch. »Was denkst du. Wir waren nur betrunken. Und das ist draus geworden.« Sie schob den Bauch vor und setzte die Flasche an die Lippen. »Hier, trink auch ’n Schlückchen«, sagte sie dann. »Tötet den Kummer.«
    Sophia war bald sehr geschickt im Stehlen von Essbarem. Ihr großer Vorteil war, dass sie normal aussah. Die grauen Polderleute standen schon nach kurzer Zeit in schlechtem Ruf. Sie stanken, stahlen, tranken, prügelten sich, brüllten, bettelten. Sie wurden von der alteingesessenen Bevölkerung gemieden wie Aussätzige.
    Nicht Sophia. Sie konnte über den Markt gehen, ohne misstrauisch und feindselig beäugt zu werden. Sie verstand dieKunst, angenehm zu plaudern, während sie ein Stück Speck unter ihrem brokatenen Umschlagtuch verschwinden ließ. Das Tuch hatte schon so manchen Dingen Unterschlupf geboten: Eiern, Bohnen, Erbsen, Schweinshaxen, Buchweizen, Pastinaken.
    Als sie einmal gerade ein Stück Käse darunter schob, sah sie aus den Augenwinkeln das kleine Mädchen, das man wie Dreck behandelt hatte. Sie erkannte ihr eigenes Nachthemd. Jemand hatte die untere Hälfte abgerissen. Unrat jeder Art hatte sich in dem

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