Gleitflug
ich wieder da, und dann ess ich auch die Kartoffeln.«
Widerwillig kehrte Sophia zur Siedlung zurück.
Vor einer der ersten Hütten sah sie die Frau mit den Zöpfen und dem müden Gesicht, die gerade hineinging. Sophia folgte ihr ohne Umstände durch die enge Tür.
»Guten Tag«, sagte sie, als sie drinnen stand.
»Du wieder«, stellte die Frau fest. Sie hatte sich auf den Boden aus festgestampftem Lehm gekniet und versuchte, in einer Mulde Feuer zu machen. Entlang den Wänden lagen Strohbündel und Decken.
»Zu wie vielen schlaft ihr denn hier?«, fragte Sophia verwundert, als sich ihre Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten.
»Zehn Männer und ich.«
»So viele?! Ide und ich haben die Hütte für uns allein.«
»Das glaubst du wohl.« Die Frau blickte sie spöttisch an. »Heute oder morgen haust du da auch mit zehn andern. Und wenn du nicht aufpasst, teilst du dir jedes deiner Löcher mit ihnen.«
Sophia riss die Augen auf, zu bestürzt, um noch ein Wort herauszubringen. Etwas so Ordinäres hatte sie noch nie gehört.
Die Frau zündete einen Zweig an und lachte. Ihr Mund war eine dunkle Höhle.
»Stell dich nicht an. Du bist doch verheiratet!«
Sophia nickte und hustete. Alles war blau vom Rauch. Der Raum hatte keinen Schornstein, als Abzug gab es nur das Loch, das als Tür diente.
»Bist du auch verheiratet?«, fragte sie hoffnungsvoll.
»Mehr oder weniger, mit Hayo. Nicht richtig.«
Die Frau erhob sich mühsam. »Aber’s reicht, um die andern Kerle abzuhalten. Und auch das da hilft.« Sie klopfte auf die Wölbung unter ihrem Kleid. Erst jetzt sah Sophia, dass sie schwanger war.
Sie wollte die Beklemmung, die sie ergriffen hatte, von sich abschütteln. »Du erwartest ein Kind!«, rief sie hustend und streckte den Kopf zur Tür hinaus, um frische Luft zu schnappen.
Die Frau zuckte nur mit den Schultern, nahm eine Pfanne und setzte sie auf die Glut. Dann goss sie aus einer Schale Rührteig in die Pfanne. Die stickige Hütte füllte sich mit Pfannkuchenduft. Das Wasser lief Sophia im Mund zusammen. Und plötzlich flossen ihr Tränen über die Wangen, sie ließen sich nicht aufhalten.
»Mein Gott, Mädel«, sagte die Frau ärgerlich. »Was gibt’s denn da zu flennen?«
»Nichts!«
»Weißt du, wenn man’s gar nicht mehr aushält, hilft immernoch Schnaps. Der spült alles weg.« Sie nahm einen ordentlichen Schluck aus einem Steinkrug und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab.
»Das ist es nicht«, jammerte Sophia. »Es ist etwas anderes. Ich kann nicht kochen. Ich kann überhaupt nichts.«
Sophia lernte schnell. Sie schloss eine seltsame Freundschaft mit der schwangeren Akkie aus Friesland, die sie mit den ungeschriebenen Gesetzen der Siedlung vertraut machte. Moralische Werte waren an zwei Fingern abzuzählen. Vergewaltigen und Morden war nicht üblich, aber ansonsten dachte jeder nur an sich, außer wenn von außen Gefahr drohte. Dann schloss man sich notgedrungen zusammen. Niemandem da draußen könne man vertrauen, verkündete Akkie, vor allem nicht den Dienstherren, der Polizei und den belgischen Deicharbeitern. Die Belgier, wusste sie, nahmen ihren Männern die Arbeit weg und verdienten auch mehr. Dieses Pack durfte man ruhig erschlagen oder ihnen die Hütte über dem Kopf anzünden, meinte sie.
Außer Überlebensregeln lernte Sophia von Akkie das Kochen. Schwierig war das nicht, das Essen war so eintönig, dass man wenig falsch machen konnte. Pfannkuchen mit Speck, Brot mit Speck und Kartoffeln mit Speck waren die tägliche Nahrung. Und wenn es keinen Speck zum Brot gab, tat man Kartoffeln darauf.
In Sophias Elternhaus standen jeden Tag Butter, Fisch, Fleisch, Käse und Gebäck auf dem Tisch. Zubereitet von der Köchin, einer hochgewachsenen Frau mit Hüften wie Schinken, mit denen sie das ganze Dorf hätte ernähren können. Oft hatte Sophia ihr dabei zugeschaut, wie sie gemächlich in einem Topf rührte, wobei ihr ganzer Körper hin und her schaukelte. Sie war nie in Eile und immer fröhlich.
»Nur langsam«, sagte sie zu Ides Mutter, die sich seufzend mit den übrigen Aufgaben in dem Arzthaushalt plagte. Und dannzog sie die zerbrechliche Frau zu einem Stuhl und gab ihr Zimtbrei zu essen.
Während Ides Mutter aß, bürstete die Köchin Muscheln und summte dazu vor sich hin. Nach Ansicht von Sophias Vater reinigte der Verzehr der Weichtiere die Nieren und regte die Blase an. In der Küche roch es nach Hafen, wenn sich die Muscheln im Topf pfeifend öffneten.
»Weiß, saftig
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