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Gleitflug

Gleitflug

Titel: Gleitflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Gine Goemans
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dem einen posierte er vor dem Dienstwagen seines Vaters, auf einem anderen mit seinen Gänsen. Die Haare hatte er mit Gel flachgelegt. Die Sonnenbrille machte das Styling komplett.
    Als Antwort hatte ihm Gravitation ein Foto gemailt, auf dem sie ihr Kaninchen an ihren schneeweißen Oberkörper drückte. Er sah das aufregende Bild als Zeichen dafür, dass sie sein Äußeres okay fand.
    Sein Vater saß so weit links, dass der Ärmel seiner Lederjacke am Seitenfenster scheuerte, und blickte abwechselnd nach oben, auf die Piste und auf die Straße. Das tat er immer, auch wenner nicht auf Kontrollfahrt war. Sein Blick wanderte ständig auf und ab, Himmel, Piste, Straße, Himmel. Er besaß das seltene Talent, sich in Vögel hineinzuversetzen. Warum tut ein Vogel das, was er tut? Diese Frage war der Ausgangspunkt aller Entscheidungen, die er bei seiner Arbeit treffen musste. Gieles’ Mutter meinte, er sei in einem früheren Leben ein Vogel gewesen.
    Sie fuhren durch das kameraüberwachte Tor, für das Willem Slob einen besonderen Ausweis hatte. In der Ferne sahen sie vor einem hellen Himmel mit Wolken wie grauen Eisschollen eine Schar Möwen fliegen.
    Gieles’ Vater griff zum Handfunkgerät. »Möwen in Mittelzone. Ich wiederhole: Möwen in Mittelzone.«
    Kurz darauf kam die Antwort: »Bahnen frei. Situation unter Kontrolle.«
    Das Armaturenbrett des Jeeps war die reinste Trickapparatur. Ein Knopfdruck, und die Angstrufe eines Stars schallten über das Ackerland. Aus Willem Slobs Sicht war dieses Ackerland ein großes Problem, zusätzlich zu den unzähligen unsichtbaren Kreuzungspunkten in der Luft. Aber als die Piste gebaut wurde, hatten die Verantwortlichen nur herablassend mit den Schultern gezuckt, wenn man sie auf die Tatsache hinwies, dass landwirtschaftliche Flächen Vögel anlockten.
    Auf dem Areal zwischen zwei Startbahnen standen Kollegen von Gieles’ Vater und der Robotermann. Im Gegensatz zu Willem Slob waren die anderen Flughafenförster grün gekleidet. Sie sahen aus wie Waldhüter. Der Robotertyp in einem farblosen Rollkragenpullover und Jeans wartete ein paar Meter entfernt.
    Willem stellte den Wagen neben den anderen gelben Jeeps ab und bewegte sich in seinem Wildwestgang auf die Wartenden zu. Seine Kollegen begrüßten ihn, sie klopften Gieles kumpelhaft auf die Schultern.
    Nun stellte sein Vater sich dem Robotermann vor. AuchGieles gab ihm die Hand. Den Namen vergaß er sofort wieder. Der Mann lispelte, seine Nasenflügel zuckten nervös. Er erzählte von seiner Erfindung, an der er dreihundertfünfzig Stunden gearbeitet habe.
    »Zeigen Sie uns mal den Vogel«, unterbrach ihn Willem. Er hatte die Arme verschränkt. Der Mann war aus dem Konzept gebracht, fing sich aber und ging zu einem der Dienstwagen. Aus einer Kiste auf der Ladefläche hob er seine Erfindung. Alle machten unwillkürlich einen Schritt rückwärts. Der Roboter war ein gewaltiger Greifvogel, mit kalten Augen und Hakenschnabel. Die ausgebreiteten dunkelbraunen Flügel hatten eine Spannweite von mehr als anderthalb Metern.
    Der Mann hielt das Ungetüm über seinen Kopf, was seinen Körper noch mickriger wirken ließ. Einer der Flughafenförster pfiff durch die Zähne. »Wow«, sagte er beeindruckt. »Fast nicht von einem echten zu unterscheiden. Ein Prachtstück von einem Seeadler.«
    »Ein junger Ssssteinadler«, korrigierte der Robotermann. »Man sssieht’s schon am Ssswanz.« Er drehte sich mit dem Vogel auf dem Kopf halb herum. »Ssswarze Endbinde.«
    »Wir haben hier keine Steinadler«, sagte Willem Slob. »Mäusebussarde, Habichte, Turmfalken und Baumfalken jede Menge. Aber keinen Steinadler.«
    Der Mann schwitzte unter seiner Erfindung.
    »Einen Seeadler hab ich mal gesehen«, sagte einer der Kollegen und rieb sich den Schnurrbart. »Über den Dünen. Aber das ist lange her. Ende der Siebziger muss das gewesen sein. Und auf diese Entfernung … vielleicht war es auch ein Schelladler. Man kann sich da leicht vertun.«
    Die anderen nickten zustimmend. »Ich hab sogar mal einen entflogenen Truthahngeier für einen Bussard gehalten«, erzählte einer. »Aber so einen Riesen erwartet man hier nicht. Bussarde können übrigens sehr aggressiv sein.«
    Der Flughafenförster wandte sich an Gieles, vermutlich weil seine Kollegen diese Anekdote schon nicht mehr hören konnten. »Ich kenne einen Bauern, der war beim Heumachen auf seinem Land, und plötzlich wurde er von einem Bussard angegriffen. Der hat ihm gleich die Krallen in die Kopfhaut

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