Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gleitflug

Gleitflug

Titel: Gleitflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Gine Goemans
Vom Netzwerk:
angewachsen und hielt sich südlich des Flughafens auf. Im Flug bewegte er sich wie eine Amöbe oder als wären die Stare alle zusammen ein einziger gewaltiger Vogel. Gieles wusste, dass sein Vater seine heimliche Freude an diesem Luftballett hatte.
    Er ging hinaus und setzte die kleine Gans in der Nähe ihrer dicken Schwester ins Gras. In der Ferne knallten die Leuchtraketen seines Vaters. Fünf, sechs. Die Stare sah Gieles nicht. Bis auf Flugzeuge war nichts am Himmel.
    Vom Campingplatz her näherte sich der alte Mann. Johan, der Crashfreak. Heute Morgen war das Raumschiff wieder gelandet. Gieles hatte keine Lust, sich mit ihm zu unterhalten, wollte aber auch nicht unhöflich sein. Es war ihm ein Rätsel,wieso der Mann nicht am Stock ging; er hinkte viel stärker als Onkel Fred.
    »Guten Abend. Wie geht es Ihnen?«, fragte er höflich.
    »Dir«, entgegnete der alte Mann und legte die welke Hand auf seine wattierte Weste. »Sag Du und Johan. Könnte besser sein. Bin heute Nachmittag aus dem Airstream gefallen, die Treppe hinunter. Mein Bein ist steif.«
    Gieles schaute auf die Beine des Mannes. Er hatte anscheinend eine Schlafanzughose an, weit und schlabberig. Es konnte aber auch eine Skaterhose sein.
    »Ärgerlich«, sagte Gieles und überlegte, wo Tufted und Bufted sich wohl herumtrieben. Es war Zeit fürs Training. Gestern Abend hatte er eine Mail von seiner Mutter bekommen. Es war die deprimierendste, die sie ihm je geschrieben hatte. Er war sich sicher: Wenn seine Mutter noch viel länger mit diesen Solarkochern weitermachte, würde nichts von ihr übrigbleiben.
    Es waren wieder Raketen zu hören, diesmal etwas näher.
    »Ich habe Kameraden«, sagte Johan und schaute in den Himmel, »die völlig die Fassung verlieren, wenn sie Knallerei hören. Sogar beim schönsten Feuerwerk kommt dann die Erinnerung an den Krieg wieder hoch. Mir persönlich macht es nichts.«
    Hinter dem alten Mann sah Gieles jetzt die Frau gestikulieren. Sie stand am Rand des Campingplatzes, hatte eine Schürze um und rief etwas, in dem das Wort »Essen« eine Rolle spielte.
    »Ich habe hauptsächlich gute Erinnerungen an die Kriegszeit. Als junger Bursche bin ich mit dem Rad oft an einer Kaserne der deutschen Besatzer vorbeigefahren, und …«
    »Ihre Frau«, unterbrach ihn Gieles und zeigte in Richtung Campingplatz. »Sie sollen essen kommen.«
    Langsam wandte der Mann sich um. »Aha, der Lockruf des Weibchens.«
    Er hatte sich mit den steifen Beinen in der flatternden Schlafanzughose schon halb umgedreht, als er noch einmal Gielesansprach. »Bevor ich es vergesse, Gerard«, sagte er vertraulich und beugte sich so weit zu ihm hin, dass ihre Nasen sich fast berührten, »ich habe meine Alben mitgebracht. Mit den Flugzeugunglücken. Die musst du dir ansehen.«
    »Mache ich.«
    »Heute Abend?«
    »Da kann ich nicht.«
    »Morgen? Morgen kommst du«, sagte er sehr bestimmt.
    »Ich glaube, das wird gehen«, sagte Gieles, um ihn loszuwerden, und verzog sich.
    Die Gänse fand er bei der Scheune. Er holte den Bambusstock, einen Besen und eine Vuvuzela. Diesmal wollte er etwas Neues ausprobieren. Mit dem Bambusstock dirigierte er die Gänse zur Straße.
    Eine neue Serie von Leuchtraketen wurde abgeschossen. Sein Vater musste ganz schön ungeduldig sein. Neulich, als er mit Gieles’ Mutter telefonierte, hatte er auch die Geduld verloren. Mindestens fünfmal hatte er das Wort »unverantwortlich« über Mobilfunk in Richtung Somalia abgefeuert. Gieles hatte es nicht hören wollen, er war schnell nach draußen gegangen. Er wollte auch nicht mehr daran denken und konzentrierte sich auf das hohe Gras und die wackelnden Gänseschwänze.
    Seine düsteren Gedanken wegen des Streits stellte er sich als einen Starenschwarm vor, den sein Vater mit Geknalle auseinander jagte. Das half. Als sie im Maschinenschuppen angekommen waren, war sein Kopf so leer wie die Spekulatiusschachtel, deren Inhalt er gleich auf den Betonboden gekippt hatte. Die Gänse machten sich sofort darüber her.
    »Bleib«, kommandierte er und entfernte sich rückwärts. »Bleib.«
    Die Gänse blieben, auch als er am anderen Ende des Maschinenschuppens angekommen war, ungefähr siebzig Meter entfernt. Sie hatten nur noch Fressen im Kopf.
    »Bleib!« Der Hall in dem Schuppen war cool. Das Problem mit dem Bleiben hatte er auf erstaunlich einfache Weise gelöst, mit einem Berg Kekse.
    Der nächste Punkt in seinem Plan war, sie auf Kommando zu ihm fliegen zu lassen. Er versuchte es, indem er

Weitere Kostenlose Bücher