Glennkill: Ein Schafskrimmi
vorher wollte er sie sehen. Das Mädchen versteckte seine Freude und ließ ihn warten. Und so hat er sich zu Tode gewartet.«
Es war keine schlechte Geschichte. Aber auch kein Vergleich mit dem, was Rebecca ihnen vorher vorgelesen hatte. Doch es machte den Schafen nichts aus. Sie waren auf einmal so müde, dass sie kaum noch zuhören konnten. Alle bis auf eines.
Mopple the Whale hatte keine Zeit, müde zu werden. Seit Rebecca das Gras unter dem Dolm entdeckt hatte, war er besessen von der Idee, es zu probieren. Jetzt schien die Gelegenheit günstig. Rebecca saß mit halb geschlossenen Augenlidern in der Nacht und summte leise vor sich hin. Neben ihr, unbeachtet, lag ein offenes Päckchen mit dem Gras. Blitzschnell war Mopple neben ihr, blitzschnell hatte er seine Nase in das Päckchen gesteckt, blitzschnell den Inhalt heruntergewürgt. Als Rebecca bemerkte, dass etwas nicht stimmte, leckte Mopple gerade die letzten Krümel von den Stufen. Rebecca begann zu lachen.
»Kiffer«, sagte sie.
Mopple kaute schuldbewusst. Er war ein bisschen enttäuscht von dem Gras. Es roch viel besser, als es schmeckte. Es schmeckte lange nicht so gut wie das Gras auf der Weide, nicht einmal so gut wie Heu. Die Menschen hatten einen sehr schlechten Geschmack. Mopple senkte die Nase und beschloss wieder einmal, nie wieder etwas Unbekanntes zu fressen.
Das Glühwürmchen vor Rebeccas Gesicht erlosch.
»Schlafenszeit«, sagte sie zu den Schafen, machte einen kleinen Knicks und war im Inneren des Schäferwagens verschwunden. Diesmal knarrte kein Schlüssel im Schloss.
Ein klarer Nachtwind trug den Rauch fort, und die Schafe wurden wieder munterer.
»Höflich ist sie«, stellte Cloud lobend fest. Die Schafe nickten, alle bis auf Mopple, der mitten auf der Weide im Stehen eingeschlafen war.
Die anderen hatten noch keine Lust, schlafen zu gehen. Durch die Aufregungen des heutigen Tages war das Grasen zu kurz gekommen. Sie beschlossen, noch etwas draußen zu bleiben, ihr Tagespensum an Weidearbeit hinter sich zu bringen und dabei Mopple Gesellschaft zu leisten, der schlief wie eine Haselmaus und sich nicht wecken lassen wollte.
Es war Nacht geworden. Die Sterne funkelten, und irgendwo schrie sich ein Käuzchen die Seele aus dem Leib. Irgendwo quakte eine einsame Kröte. Irgendwo spielten zwei Katzen das Liebesspiel.
Irgendwo näherte sich schnurrend der Motor eines großen Autos. Lane hob den Kopf. Das Auto hielt am Feldweg bei dem Tor. Keine Lichter. Ein Mensch stieg aus und kam ohne Eile über die Weide auf den Schäferwagen zu. Kurz davor blieb er stehen und witterte geräuschvoll in die Luft. Dann stieg er die Stufen hinauf und klopfte an die Tür. Einmal, zweimal, noch einmal.
19
Im Schäferwagen rührte sich nichts. Der Mann legte seine Hand auf die Türklinke und drückte sie herunter. Weil er die Klinke die ganze Zeit gedrückt hielt, schaffte er es, Georges knarrende Tür vollkommen lautlos zu öffnen.
Und hinter sich wieder zu schließen.
Bald darauf glomm hinter den Fenstern des Wagens ein bleiches, nervöses Licht auf.
»Habt ihr es gerochen?«, fragte Maude. »Das Metall? Er hat auch so eine Pistole. Wie George.« Sie schauderte ein bisschen.
»Aber er hat keine Scheibe!«, sagte Ramses. Sie waren erleichtert. Ohne Scheibe würde der Mann mit seinem Schießeisen wenig anfangen können.
»Vielleicht will er Georges Scheibe«, sagte Lane nachdenklich, »vielleicht will er sie wegnehmen.«
Othello sah unruhig zum Wagen herüber. »Wir sollten herausfinden, was da drinnen passiert.«
Die Schafe rückten näher an den Schäferwagen. Maple und Othello begannen, unter dem einzigen offenen Fenster zu weiden.
»Warum sollte ich Ihnen das sagen?«, sagte die Stimme des Mannes, so leise, dass man keinerlei Betonung erkennen konnte. Eine karge Stimme.
Rebecca sagte nichts, aber die Schafe konnten ihren Atem hören, schnell und unregelmäßig. Etwas rumorte im Schäferwagen. Ein schwerer Gegenstand fiel zu Boden.
»Sie haben es also gefunden«, sagte der Mann. »Gratuliere.«
Dann, nach einer Weile: »Wo?«
Rebecca lachte ganz leise. »Das glauben Sie mir nie.«
»Das glaube ich Ihnen«, sagte der Mann. »George war einer unserer Besten. Spezialist für den Irland-Nordirland-Transport. Einfallsreich. Nie ein einziger Zwischenfall.«
Wieder lachte Rebecca. Etwas lauter diesmal, ein bisschen erstickt.
»Das alles wegen … Gras?«, fragte sie, rau und tonlos, ganz ohne ihre Vorlesestimme. Othello sah besorgt zu dem
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