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Glennkill: Ein Schafskrimmi

Glennkill: Ein Schafskrimmi

Titel: Glennkill: Ein Schafskrimmi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
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gehört, drehten beide die Köpfe zum Meer, wo sich gerade ein glanzvoller Sonnenuntergang abspielte. Die Schafe sahen vorsichtshalber in die gleiche Richtung, aber sie konnten nichts Besonderes entdecken.
    »Was werden Sie jetzt tun?«, fragte Beth nach einer Weile.
    Rebecca zuckte mit den Achseln. »Schäfchen zählen. Und Sie?«
    »Beten«, sagte Beth. »Ich werde hier für Sie beten.«
    Dann tat sie aber doch nichts, sondern stand einfach nur da, mit geschlossenen Augen, und warf einen langen geraden Schatten in die Abenddämmerung. Grillen zirpten dazu. Eine weiße Katze spazierte mit erhobenem Schweif die Steinmauer neben dem Tor entlang. Erste Nachtvögel begannen zu singen. Die Schafe grasten das duftige Abendgras. Alle bis auf Melmoth. Melmoth summte noch immer. So lange, bis eine Elster vom Krähenbaum herübergeflogen kam und sich auf seinen Rücken setzte.
    Aber dort hielt sie es nicht lange aus, sondern flog weiter zum Dach des Schäferwagens. Was sie im Schnabel trug, glänzte im Sonnenuntergangslicht wie Feuer. Dann stürzte es aus dem Schnabel der Elster und landete klirrend auf der obersten Stufe des Schäferwagens.
    Rebecca griff nach dem Feuerding. Sie stand schnell auf. Die Tür des Schäferwagens knarrte, und Beth öffnete die Augen. Rebecca lachte beinahe übermütig.
    »Wow«, sagte sie, »wenn ich gewusst hätte, dass das so funktioniert! Bringen Sie mir doch bei Gelegenheit mal ein paar von Ihren Traktaten mit.«
    Beth umklammerte den kleinen glitzernden Gegenstand auf ihrer Brust. Ihre Knöchel wurden weiß.
    »Kommen Sie doch herein«, sagte Rebecca aus dem Inneren des Schäferwagens.
    Doch Beth wich vor der Tür zurück und schüttelte heftig den Kopf. Auch die Schafe waren nervös. Würde jetzt etwas herauskommen? Was konnte das sein? Aber aus dem Schäferwagen kam nichts heraus, genauso wenig wie aus dem Testament etwas herausgekommen war.
    »Ich sollte zurück«, sagte Beth. »Das ist besser so. Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf: Machen Sie heute Abend kein Licht. Ich werde sagen, dass Sie fortgegangen sind.«
    Sie drehte sich abrupt um und marschierte dünn und aufrecht zurück zum Dorf, wie sie es schon so viele Male getan hatte.
     
    *
    Rebecca und ihr Koffer verschwanden im Schäferwagen. Die Schafe hörten, wie sich der Schlüssel im Schloss umdrehte. Sie steckten ihre Köpfe zusammen.
    »Ob sie schläft?«, fragte Cordelia.
    »Sie roch müde«, sagte Maude.
    »Sie darf nicht schlafen«, sagte Heide ein wenig bockig. »Es steht im Testament. Sie muss uns vorlesen. Sie ist eine schlechte Schäferin.«
    »Vorlesen, vorlesen«, blökten die Schafe.
    Dann verstummten sie. Melmoth war zu ihnen getreten, zottig und unheimlich wie eh und je.
    »Unsinn«, sagte er. »Versteht ihr denn nicht? Die Geschichte ist hier. Die Geschichte sind wir. Das Kind braucht den Schlüssel.«
    »Aber sie hat den Schlüssel doch schon«, sagte Heide.
    Melmoth schüttelte den Kopf. »Georges rotes Lamm braucht alle Schlüssel«, insistierte er.
    »Du meinst den Schlüssel für die Kiste unter dem Dolm?«, fragte Cloud.
    »Unter dem Dolm«, bestätigte Melmoth. »Wer hat den Schlüssel?«
    »Ich«, sagte Zora stolz.
    »Ah, Abgründige.« In Melmoths Stimme blitzte Respekt auf. »Wer noch?«
    Niemand antwortete.
    Melmoth nickte. »Entführt, in die Luft, mit diebischer Freude, glänzend gehütet, bis die Menschenkatze kam. Wir sollten uns beeilen.«
    »Ich soll ihn hergeben? « Zora sah Melmoth entrüstet an.
    »Für die Hirtin. Wie für George, den Hirten«, nickte Melmoth.
    »Ich habe ihn auch George nicht einfach so gegeben«, sagte Zora. »Er hat vor dem Abgrund auf ihn gewartet.«
    »George wusste. Sie ist ein Lamm. Sie weiß nichts. Wie einem Lamm führt man ihr das Maul zur Milch«, sagte Melmoth.
    Zora machte ein bockiges Gesicht.
     
    *
    Wenig später trat Rebecca wieder aus dem Schäferwagen. Draußen schrie ein Lamm, und es ging ihr ans Herz. Als sie ihren Fuß auf die Stufen des Schäferwagens setzte, glitzerte dort wieder etwas. Nicht wie Feuer, dafür stand die Sonne schon zu tief. Eher wie hingegossenes Blut. Sie bückte sich. Ein Schlüssel an einem Faden. Sie steckte ihn achselzuckend in ihre Rocktasche. Heute war nicht der Tag, sich über irgendetwas zu wundern.
    Das Lamm schrie noch immer. Sie folgte dem Geräusch bis unter den Dolm.
    Die Schafe beobachteten gespannt, wie Rebecca dort die versteckte Kiste fand. Othello hatte vorher die Erde aufgescharrt, um ihr die Entdeckung leichter zu

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