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Glennkill: Ein Schafskrimmi

Glennkill: Ein Schafskrimmi

Titel: Glennkill: Ein Schafskrimmi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
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sie ihn vorwurfsvoll anblökten, murmelte er etwas von »tapfer« und zog das Lamm wider alle Vernunft groß: einen rücksichtslosen Milchdieb, unproportioniert wie eine Ziege, viel zu klein für ein Lamm seines Alters, aber zäh und raffiniert. Sie versuchten es zu ignorieren, so gut es eben ging.
    Deshalb gab es auch jetzt nur wenig Aufregung unter den Schafen. Nachdem sie sich überzeugt hatten, dass das Winterlamm wirklich bis an den Rand der Weide geflohen war und sich unter dem Krähenbaum herumdrückte, taten sie, als wäre nichts geschehen.
    Den Rest des Tages verbrachten sie so, wie es sich für Schafe gehört. Sie fraßen lange (nur nicht auf George’s Place), sie verdauten gemütlich in der Abenddämmerung, sie trabten alle zusammen zum Heuschuppen, nachdem Cloud verkündet hatte, dass es eine regnerische Nacht werden würde.
    Dort drängten sie sich eng zusammen, die Lämmer in der Mitte, die Alten um sie herum, die erwachsenen Widder ganz außen, und schliefen sofort ein.
    Miss Maple träumte einen dunklen Traum, einen Traum, in dem man kaum das Gras vor der eigenen Schafsnase sehen konnte.
    Vor ihr lag der Dolm, größer und flacher als in der wirklichen Welt. Auf ihm standen drei Schattengestalten. Es waren Menschen, sehr viel mehr verriet die Witterung nicht. Maple spürte ihre Blicke auf sich ruhen. Diese Menschen konnten in der Dunkelheit sehen.
    Plötzlich bewegte sich einer von ihnen auf Maple zu. Seine schemenhaften Konturen nahmen die Form des Metzgers an.
    Maple drehte sich um und floh. Der Spaten, den sie anscheinend irgendwie in einem Vorderhuf gehalten hatte, traf mit einem dumpfen Pochen auf dem Boden auf.
    Hinter sich hörte sie die Stimme des Metzgers. »Eine Herde braucht einen Hirten«, flüsterte er. Maple wusste jetzt, dass sie keinen Hirten brauchte, sondern eine Herde. Sie blökte, und aus der Dunkelheit antworteten andere Schafe. Sie stolperte vorwärts, fand die Herde und drängte sich hinein, tiefer und tiefer in das sichere, wollige Knäuel.
    Aber etwas machte sie misstrauisch. Es war ihre Herde, ganz zweifellos, aber sie roch falsch – warum, das konnte Maple nicht sagen. Sie hörte den Metzger näher kommen und erstarrte, und um sie herum erstarrte die Herde. Dann kam ein Wind auf und blies die Dunkelheit wie Nebel fort. In dem fahlen Licht konnte Miss Maple sehen, dass alle Schafe ihrer Herde schwarz waren. Sie stand als einziges weißes Schaf unter ihnen. Der Metzger steuerte direkt auf sie zu. In den Händen hielt er einen Apfelkuchen.
     
    Plötzlich war es wieder dunkel um sie herum. Miss Maple war aufgewacht. Erleichtert wollte sie sich an Cloud schmiegen, ihre favorisierte Nachbarin für die Nacht. Aber etwas stimmte nicht. Es war der Geruch. Die Schafe um sie herum rochen wie ihre Herde und doch wieder nicht. Sie konnte einzelne Schafe wittern: Mopple, der noch immer leicht nach Salat roch, Zora mit ihrem frischen Meerduft, Othellos harzigen Widdergeruch. Aber es war so, als hätten sich andere Schafe unter sie gemischt, Schafe mit widersprüchlichen Duftmarkierungen, Schafe, die nichts von ihrer Persönlichkeit preisgaben, halbe Schafe sozusagen. Miss Maple spähte verwirrt und müde umher, aber im Heuschuppen war es mindestens ebenso dunkel wie in ihrem Traum. Sie wusste nicht, was sie denken sollte. Draußen rauschte der Regen, andere Geräusche hörte man nicht. Trotzdem war sich Maple plötzlich sicher, dass sie am Scheunentor eine Bewegung wahrgenommen hatte. Sie drängte Cloud zur Seite. Cloud begann leise im Schlaf zu blöken, andere Schafe schlossen sich ihr an. In der blökenden Schafswolke verlor Miss Maple für kurze Zeit die Orientierung. Sie hielt inne. Nach einigen Augenblicken ebbte das Blöken ab, und sie hörte den Regen wieder. Mühsam setzte sie ihren Weg zum Ausgang fort.
    Draußen war die Nacht mit Regenfäden zugehängt. Maple versank bis zu den Knien im Schlamm. Ihre Wolle saugte sich mit Wasser voll, und bald kam sie sich doppelt so schwer vor wie gewohnt. Sie dachte an das Lamm und wollte schaudernd den Weg zum Dolm einschlagen, als sie ein klingendes, klackendes Geräusch hörte, so als würde Stein auf Stein prallen. Es kam von den Klippen. Maple seufzte. Die Klippen waren sicherlich nicht der Ort, an dem sie in einer pechschwarzen Regennacht mit einem Wolfsgeist zusammentreffen wollte. Trotzdem setzte sie sich in Bewegung.
    An den Klippen war es weniger dunkel als befürchtet. Das Meer reflektierte etwas Licht, und man konnte die

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