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Glennkill: Ein Schafskrimmi

Glennkill: Ein Schafskrimmi

Titel: Glennkill: Ein Schafskrimmi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
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sie wissen weniger, und deswegen sind sie so schwer zu verstehen, aber … Othello schüttelte den Kopf, um die Stimme zu verscheuchen. Gute Ratschläge, zweifellos, unschätzbare Ratschläge, aber die Stimme neigte zu konfusen Vorträgen, und er musste sich jetzt konzentrieren.
    An einer Stelle war der Boden nicht nur matschig, sondern regelrecht aufgewühlt. Miss Maple wahrscheinlich. Er würde kein solches Durcheinander hinterlassen haben. Othello suchte nach einem diskreteren Hinweis. Etwas weiter sah er eine verkrüppelte Kiefer, die einzige Kiefer weit und breit. Immergrüne Baumfreunde, Geheimnishüter, Wurzelweise. Die Kiefer zog Othello an.
    Er umkreiste das armselige Bäumchen, so lange, bis es sich unter seinen Blicken verschämt zur Seite zu neigen schien. Nichts Ungewöhnliches. Außer dem Loch natürlich, aber Othello gab nichts auf die Geschichten, die man sich von dem Loch erzählte. Das Loch direkt neben dem Wurzelwerk der Kiefer und zog sich schräg durch den Fels. Tag und Nacht rauschte das Meer hindurch, gurgelte und gluckste, ein spöttisches Lachen aus der Tiefe. Es hieß, dass ihm bei Vollmond Meerwesen entkrochen kamen, um mit glitschigen Fingern um den Heuschuppen zu streichen. Doch Othello wusste, dass die schillernden Linien, die man am nächsten Morgen an den Holzwänden des Heuschuppens entdecken konnte, in Wirklichkeit die Schleimspuren der Nachtschnecken waren. Im Grunde wussten die anderen Schafe es auch. Sie mochten nur gerne Geschichten. An manchen Tagen konnte man drei oder vier besonders verwegene Jungschafe um die Kiefer versammelt sehen, die in das Loch hineinlauschten und sich angenehm gruselten.
    Jetzt spähte auch Othello dort hinunter, zum ersten Mal mit einigem Interesse. Steil, zweifellos, aber nicht zu steil für einen Menschen, der seine Hände zu benutzen wusste, und nicht zu steil für ein sehr mutiges Schaf. Othello zögerte. Was beim ersten Kauen nicht schmeckt, schmeckt beim zehnten Kauen nicht besser!, spottete die Stimme. Warten füttert die Angst, fügte sie dann etwas ungeduldig hinzu, als sich der Widder noch immer nicht rührte. Doch Othello hörte nicht auf die Stimme. Er starrte wie gebannt auf etwas Dunkles, Glänzendes zu seinen Füßen. Eine schimmernde Feder, schwarz und still wie die Nacht. Othello schnaubte. Er drehte noch einmal den Kopf in Richtung Heuschuppen, dann verschwand er in dem Loch.
     
    *
    Auf einmal stand Mopple schwer atmend und zitternd im Freien. Seine Flanken fühlten sich wund an, und an einer Stelle saß ein spitzer, pickender Schmerz. Zur Beruhigung sagte Mopple das Schwierigste auf, was er je gelernt hatte: »Operation Polyphem«.
    George hatte das manchmal gesagt, und kein Schaf hatte es je verstanden. Mopple war eines der wenigen Schafe, die sich auch die Sachen merken konnten, die sie nicht verstanden. Danach fühlte er sich etwas mutiger und sogar ein bisschen entschlossen.
    Mopple wandte den Kopf, um nicht ohne Stolz die kleine Lücke zu bestaunen, durch die er, Mopple the Whale, gerade gekrochen war. Doch die Holzwand des Heuschuppens war schon im Nebel verschwunden. Es war ein besonders dichter Nebel, so dick und zäh, dass sich Mopple fast versucht fühlte, hineinzubeißen. Er beherrschte sich und rupfte stattdessen lieber ein bisschen Gras.
    Für Mopple war Nebel kein großes Problem. Man sah schlechter bei Nebel, das war schon wahr, aber Mopple sah ohnehin schlecht. Etwas mehr störte ihn, dass man nicht ordentlich wittern konnte, wenn sich kühle grasige Wasserperlen in die Nüstern gesetzt hatten. Aber im Allgemeinen fühlte er sich im Nebel geborgen. Er stellte sich vor, durch die federleichte Wolle eines riesigen Schafs zu marschieren, und das war ein schöner Gedanke. Unbekümmert graste er los. Jetzt war er sich sicher, dass zumindest sein erster Grund ein guter Grund war. Mopple liebte Nebelgras, das klar schmeckte wie Wasser und von dem alle störenden Gerüche abgewaschen waren. Miss Maple konnte er später suchen, vielleicht würde sie ja auch von seinen rupfenden Fressgeräuschen angelockt werden. Er wanderte im Trott hin und her, bis er sich nicht mehr ganz so ausgehungert vorkam.
    Plötzlich stieß seine Nase auf etwas Hartes und Kaltes. Erschrocken sprang Mopple einen Satz zurück, mit allen vier Füßen gleichzeitig. Jetzt konnte er allerdings nicht mehr sehen, was ihn erschreckt hatte. Mopple zögerte. Schließlich siegte die Neugier. Er trat einen Schritt vor und äugte auf den Boden. Dort lag der Spaten,

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