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Glennkill: Ein Schafskrimmi

Glennkill: Ein Schafskrimmi

Titel: Glennkill: Ein Schafskrimmi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
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Küstenlinie sehen, schemenhaft, aber unverwechselbar. Und man konnte sehen, dass dort niemand war. Wer immer das Geräusch verursacht hatte, musste von den Klippen gestürzt sein. Maple tastete sich vorsichtig mit nassen Hufen an die glitschige Böschung heran und spähte nach unten. Natürlich sah sie nichts, sah nicht einmal, wie tief es hinunterging. Sie wollte zurückweichen und merkte, dass das nicht einfach sein würde. Das Gras war nass und schleimig, der Boden darunter aufgeweicht. Man hatte ihr eine Falle gestellt, und sie, Miss Maple, das klügste Schaf Glennkills und vielleicht der Welt, war arglos hineingetappt. Maple dachte darüber nach, dass Klugheit nicht viel weiterhilft, wenn man schlecht geträumt hat, und wartete auf eine Hand oder eine Nase, die sie mit einem sanften, aber entscheidenden Schubs in den Abgrund befördern würde.
    Sie wartete lange und vergebens. Als sie merkte, dass niemand hinter ihr war, wurde sie ärgerlich. Mit einem wütenden Rückwärtssprung brachte sie sich wieder auf halbwegs verlässlichen Untergrund und trottete zurück zum Heuschuppen. Am Tor hielt sie inne und sog die Luft ein. Es roch nach ihrer Herde und nach sonst nichts. Maple schnaufte erleichtert und merkte, dass ihre Beine zitterten. Sie begann nach Cloud zu suchen, die irgendwo in der Dunkelheit noch immer leise blökte, in einem Traum ohne Metzger und Apfelkuchen, in dem wahrscheinlich ein großes grünes Kleefeld die Hauptrolle spielte.
    Plötzlich trat ihr noch immer zitternder Huf in eine warme Flüssigkeit, eine Flüssigkeit, die von Sir Ritchfield herabtropfte. Der alte Widder stand bewegungslos mit geschlossenen Augen wie in tiefem Schlaf. Er war nass wie ein Schaf, das man sehr lange unter Wasser getaucht hatte. Miss Maple legte ihren Kopf auf Clouds wolligen Rücken und dachte nach.

4
    Am nächsten Tag wehte kein Wind, und die Möwen schwiegen. Dicker grauer Nebel kroch auf der Weide hin und her. Niemand konnte mehr als zwei Schafslängen weit sehen. Sie blieben sehr lange im Heuschuppen, wo es trocken und gemütlich war. Seit Tess und George sie nicht mehr im Morgengrauen aufscheuchten, waren sie anspruchsvoller geworden.
    »Es ist feucht«, sagte Maude.
    »Es ist kalt«, sagte Sara.
    »Es ist eine Frechheit«, sagte Sir Ritchfield. Damit war die Sache entschieden. Der alte Widder hasste den Nebel. Im Nebel nützten Ritchfield seine guten Augen gar nichts. Er merkte, dass er nicht mehr gut hören konnte, und er vergaß sehr schnell, aus welcher Richtung er gekommen war.
    Aber es gab noch einen anderen Grund für das allgemeine Zaudern. Der Nebel war ihnen heute unheimlich. Es war, als würden sich hinter seinem weißen Atem seltsame Schatten bewegen.
    Also blieben sie im Schuppen, den ganzen Vormittag. Langeweile kam auf, schlechtes Gewissen und zuletzt Hunger. Aber sie dachten daran, wie sehr sie sich an solchen Tagen immer über George und Tess geärgert hatten, und blieben stur. Eine Front von weißen nachdenklichen Schafsköpfen starrte kurzsichtig in die Schwaden, während Mopple sich durch ein Loch in der Rückwand der Scheune ins Freie presste.
     
    *
    Die Holzsplitter der morschen Bretter verfingen sich in seiner Wolle und piksten in die zarte Schafhaut. Mopple ächzte. Als er sich etwa bis zur Hälfte vorgearbeitet hatte, begann er zu zweifeln, ob die Idee mit dem Loch wirklich eine gute Idee gewesen war.
    »Wenn der Kopf durchpasst, dann passt der Rest auch durch«, hatte George immer gesagt. Erst jetzt fiel Mopple ein, dass er damit die Ratten gemeint hatte, die irgendwie in den Schäferwagen eindrangen und sich über durchgerostete Konservendosen hermachten.
    Mopple hatte noch nie eine Ratte aus der Nähe gesehen, aber auf einmal war er sich nicht mehr so sicher, ob sie wirklich aussahen wie kleine Schafe. Mopples Mutter hatte ihm das erzählt, als er noch ein wohlgenährtes Milchlamm war und sich vor den huschenden Bewegungen und den sanften, flüchtigen Berührungen der Stallratten fürchtete. Sie hatte ihm erzählt, dass es sehr kleine und sehr wollige Schafe seien, die in Herden durch die Ställe zogen, um den großen Schafen die Träume zu bringen. Und vor kleinen wolligen Schafen konnte sich nicht einmal Mopple fürchten.
    Als erwachsener Widder hatte er sich manchmal gewundert, warum andere Schafe nach den kleinen Rattenschafen keilten. Er kam zu der Einsicht, dass das wahrscheinlich Schafe waren, die schlecht geträumt hatten. Mopple konnte sich über seine Träume nicht

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