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Glennkill: Ein Schafskrimmi

Glennkill: Ein Schafskrimmi

Titel: Glennkill: Ein Schafskrimmi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
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sich die anderen Menschen murmelnd um sie zusammen. An George, der in dem Kasten lag, dachte anscheinend niemand. Nur Othello.
    Othello erinnerte sich an den Tag, an dem er George zum ersten Mal gesehen hatte, durch sehr viel Zigarettenqualm hindurch. In jenen Tagen war Othello an Zigarettenqualm gewöhnt. Von irgendwoher strömte Blut in seine Augen. Er war so erschöpft, dass seine Beine zitterten. Der Hund neben ihm war tot, aber das hatte nicht viel zu bedeuten. Es gab immer einen nächsten Hund. Othello konzentrierte sich darauf, auf den Beinen zu bleiben und die Augen offen zu halten. Es fiel ihm schwer – zu schwer. Er wollte nur das Blut aus seinen Augen blinzeln, aber als er sie einmal geschlossen hatte, blieben sie zu. Einige Augenblicke himmlische Schwärze, dann meldete sich die Stimme, reichlich spät. Durch geschlossene Augen kommt der Tod, sagte sie. Othello hatte nichts dagegen, tot zu sein; trotzdem hob er gehorsam die Lider und sah direkt in Georges grüne Augen. George schaute ihn mit so viel Aufmerksamkeit an, dass sich Othello an seinem Blick festhalten konnte, so lange, bis seine Beine nicht mehr so zitterten. Dann drehte er sich um, zu der Tür, aus der die Hunde kamen, und senkte die Hörner.
    Wenig später lag er in Georges altem Auto und blutete den Rücksitz voll. George saß auf dem Fahrersitz, aber das Auto stand still, und die Nacht drückte sich neugierig gegen die Fenster. Der alte Schäfer hatte sich zu ihm umgedreht, und in seinen Augen war jetzt nicht nur Aufmerksamkeit, sondern Triumph. »Wir fahren nach Europa«, verkündete er.
    Aber George hatte sich geirrt. Sie waren nicht nach Europa gefahren. »Gerechtigkeit«, dachte Othello. »Gerechtigkeit.«

5
    Die Schafe hatten einen scheußlichen Tag verbracht. Noch nie in ihrem Leben waren sie sich so unbehütet vorgekommen. Zuerst der Nebel, dann das ungute Gefühl, dass sich etwas Fremdes durch diesen Nebel bewegte, ferne schmatzende Geräusche, eine blasse Ahnung feindseliger Gerüche.
    Das Winterlamm hatte die zwei anderen Lämmer unter einem Vorwand in eine dunkle Ecke des Heuschuppens gelockt und jagte ihnen dort solche Angst ein, dass sie vor Schreck gegen die Wand rannten und sich wehtaten. Eines am Kopf und eines am Vorderbein. Ritchfield sah nichts, hörte nichts und blieb stur. Dann begann das Gebrüll, und endlich musste auch der alte Leitwidder zugeben, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Er sah fast erleichtert aus, wahrscheinlich, weil er endlich auch etwas mitbekam.
    Das Gebrüll war zu viel für die Schafe. Sie sprengten auf die Weide und trabten mit zuckenden Ohren durch den Nebel, zu nervös, um zu grasen. Endlich wurde es still, aber die Stille machte ihnen auf einmal noch viel mehr Angst. Sie drängten sich auf dem Hügel zusammen, Maude keilte nervös aus und traf Ramses an der Nase. Die Stimmung war schlecht, und alle warteten auf den Wind, der den Nebel forttreiben würde und mit ihm auch die Stille. Es geschah, was kein Schaf je für möglich gehalten hatte: Sie vermissten die Möwenschreie.
    Der Wind kam gegen Mittag, die Möwen schrien wieder, und Zora trabte zu den Klippen. Dann blökte sie, und bald standen alle Schafe am Abgrund, so nahe, wie sie es eben wagten, und staunten in die Tiefe. Unten lag der Metzger, auf einem kleinen Flecken Sand inmitten von vielen Felsen. Er lag auf dem Rücken und sah erstaunlich flach aus und sehr breit. Ritchfield behauptete, einen roten Blutfaden in seinem Mundwinkel zu erkennen, aber sie waren heute nicht gut auf Ritchfield zu sprechen und glaubten ihm kein Wort. Der Metzger hatte die Augen geschlossen und bewegte sich nicht. Die Schafe genossen die Aussicht. Dann öffnete sich auf einmal das linke Auge des Metzgers, und die gute Stimmung war wie weggeblasen. Das blasse Metzgersauge sah sie an, jedes einzelne Schaf, und den Schafen zitterten selbst hoch auf ihrem Felsen die Knie. Das Auge suchte etwas, fand es nicht und schloss sich wieder. Vorsichtig wichen die Schafe von den Klippen zurück.
    »Es wird ihn wegschwemmen«, meinte Maude optimistisch.
    Die anderen waren sich nicht so sicher.
    »Es kommt immer ein junger Mann mit seinem Hund am Strand vorbei«, seufzte Cordelia. Einige Schafe nickten. Das wussten sie aus den Pamela-Romanen.
    »Der Hund findet den Menschen. Der junge Mann ist verzaubert und nimmt ihn mit«, ergänzte Cloud, die immer gut aufgepasst hatte. »Wenigstens ist er dann weg«, fügte sie hinzu. Aber die Schafe wussten, dass es nicht dasselbe

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