Glennkill: Ein Schafskrimmi
seiner Hände formte sich zu einer enormen Faust und schoss mit einem klatschenden Geräusch in die andere, halb geöffnete. Dann schloss sich die äußere Hand um die innere. Es sah aus, als würden die Arme des Metzgers in einer rohen Fleischkugel zusammenwachsen. Die Knöchel wurden weiß, und Mopple hörte ein sehr leises und sehr böses Geräusch, ein fernes Knacken, als würde ein Knochen tief im Inneren eines Körpers langsam zerbrochen. Hilflos starrte der Widder den Metzger an und kaute mechanisch auf seinem letzten Grasbüschel, das er in fernen und glücklichen Zeiten gerupft hatte. Es schmeckte nach nichts. Mopple konnte sich nicht daran erinnern, warum er gegrast hatte. Er wusste nicht mehr, warum überhaupt ein Schaf auf dieser Welt noch grasen sollte, solange es Metzger gab. Der Metzger trat einen kleinen Schritt zurück, zweifellos um etwas sehr Gemeines und Endgültiges zu tun. Dann war er auf einmal wie vom Erdboden verschluckt.
Mopple blieb einfach stehen und kaute weiter, er kaute, bis er keine einzige Faser Gras mehr im Maul hatte. Er dachte an nichts, nur daran, dass er weiterkauen musste. Solange er kaute, würde nichts passieren. Er kam sich ein wenig dumm dabei vor, mit leerem Maul zu kauen, aber er wagte es nicht, ein neues Büschel zu rupfen.
Ein paar Nebelfetzen wehten vorbei und dann – plötzlich – ein Stück klare Luft. Ein Fenster, durch das Mopple sehen konnte. Und er sah – nichts. Direkt vor Mopples Hufen hörte die Welt auf. Mopple stand am Abgrund, näher, als er sich je freiwillig herangetraut hätte. Er wunderte sich nicht mehr, wohin der Metzger verschwunden war. Mopple schauderte. Er trat einen vorsichtigen Schritt zurück. Dann noch einen. Dann drehte Mopple the Whale sich um und ließ sich wieder vom Nebel verschlucken.
Bisher hatte Mopple den Nebel immer gemocht. Als er noch ein Lamm war, hatte ihm der Schäfer eines Tages verboten, bei seiner Mutter zu saugen. Es war ein schlimmer Tag für Mopple gewesen. Er würde zu schnell zu fett, sagte der Schäfer. Von diesem Tag an saugte der Schäfer bei seiner Mutter, mit einem Gerät. Der Schäfer war auch fett, aber kein Schaf konnte ihm etwas verbieten. Mopple bekam dann ein Getränk aus Milch und Wasser. Er sah gerne zu, wie sich Milch und Wasser mischten, wartete dafür sogar ein bisschen, bevor er zu trinken begann. Das Weiß der Milch sponn im Wasser Fäden, bis ein zartes, dichtes Gewebe entstanden war. Dieses Gespinst war wie Nebel, der immer dichter wurde, und es war das Versprechen, dass Mopple satt werden würde und dass alles gut war. Aber seit heute wusste Mopple, dass der Nebel nicht die Wolle eines riesigen Schafes war, und wenn doch, dass dieses Schaf von fürchterlichem Ungeziefer befallen war, von Metzgern mit Händen aus rohem Fleisch, die alles, was sie berührten, ebenfalls in rohes Fleisch verwandelten.
Langsam begann er auch, sich über das brutale Gebrüll zu wundern, das aus irgendwelchen Tiefen aufzusteigen schien und die Weide bedeckte wie ein massiger Körper. Es war ein Gebrüll, das Mopple bis in die Spitzen seiner rundlichen Widderhörner fühlen konnte, so wütend und verzweifelt, wie er es noch nie gehört hatte. Es verursachte ihm Schmerzen in Zähnen und Hufen, aber er versuchte nicht, davonzulaufen. Er wusste jetzt, dass man nicht so einfach davonlaufen konnte, auch nicht zu den anderen Schafen, die selbst nur eine andere Art von Nebel waren und sich genauso schnell in nichts auflösen konnten. Schon einmal hatte er sie verschwinden sehen, all seine Ziehbrüder, seine Saugkumpane, seine Milchlammfreunde, und zurückgekommen war nur der Schäfer, fett und kalt, als wäre nichts geschehen.
Mopple blickte auf den Boden und sah das Gras, das noch genauso grün war wie zuvor. Das Gras hatte ihn gerettet. Vielleicht musste man sich an das Gras halten. Ohne den Blick vom Boden zu wenden, begann Mopple, sich zu bewegen. Vorsichtig setzte er einen Huf vor den anderen und folgte dem Gras, wohin es ihn auch führen mochte.
*
Othello ärgerte sich. Das Loch war kein Problem gewesen, beinahe einfach, sobald man sich einmal hineingetraut hatte. Das sah ihm ähnlich. Die Probleme stecken nicht in deinen Füßen, auch nicht in deinen Augen oder in deinem Maul. Die Probleme stecken immer im Kopf, flüsterte die Stimme. Jetzt durchforstete Othello seinen Kopf so sorgfältig, wie es nur ein wiederkäuendes Schaf kann. Trotzdem wusste er nicht weiter. Er war schon ein Stück den Strand
Weitere Kostenlose Bücher