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Glennkill: Ein Schafskrimmi

Glennkill: Ein Schafskrimmi

Titel: Glennkill: Ein Schafskrimmi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
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entlanggetrabt, ohne auch nur die geringste Spur zu entdecken. Der Sand bewegte sich angenehm weich, zugleich aber auch träge und tückisch unter seinen Füßen. Und jetzt kam noch dieses Gebrüll dazu.
    Es war nicht nah genug, um Othello wirklich zu beunruhigen, aber es war laut und nervtötend. Wer oder was in aller Welt konnte so brüllen? Die Sache interessierte ihn. Unter allen anderen Umständen wäre er wohl umgekehrt, um sich den Brüller anzusehen. Aber was hier vielleicht vor ihm lag, interessierte ihn mehr. Er musste jetzt kurz vor dem Dorf sein. Othello wusste, dass es Zeit war, vom Strand zu verschwinden.
    Der Widder spähte die Klippen empor. Sie waren hier flacher und an manchen Stellen sanft und sandig. Wo der Wind kleine Dünen angehäuft hatte, wuchs raublättriges Sandgras. Zum Fressen taugte es nicht viel, aber es bot den Füßen guten Halt. Othello kletterte die Böschung hinauf. Oben angekommen, sah er noch mehr von dem borstigen Sandgras und einen schmalen Menschenweg, der sich in unsinnigen Schlaufen im Staub entlangwand. Das Sandgras erstreckte sich gleich langweilig in alle Richtungen und verriet ihm nichts. Wenn man nicht weiter weiß, gibt man auf oder lässt es bleiben, spottete die Stimme, das kommt dann nämlich auf dasselbe heraus. Othello blieb stur stehen. Es gab hier eine Menge Wege, die ein Schaf hätte einschlagen können, aber es gab nur einen einzigen Weg, den mit Sicherheit kein einziges Schaf gewählt hätte. Nun – fast kein Schaf. Othello folgte dem Menschenpfad in Richtung Dorf.
    Der Weg bog sich ein paarmal unentschlossen hin und her, dann fand er eine Mauer aus rohen Steinen und lief gerade wie ein Schafsbein an ihr entlang. Die Mauer war so hoch, dass Othello, selbst wenn er sich auf die Hinterbeine aufrichtete, nicht über sie hinwegsehen konnte.
    Das war schade, denn jenseits der Mauer gingen seltsame Dinge vor. Viele Stimmen murmelten dort merkwürdig klein und leise vor sich hin, und es war nicht nur der Nebel, der sie dämpfte. Othello spürte große Erregung und zugleich eine aufgezwungene Stille. Selten genug bemühten sich die Menschen, still zu sein. Es hatte immer etwas zu bedeuten. Othello kam an eine kleine schmiedeeiserne Pforte. Er drückte mit einem seiner Vorderfüße die Klinke nach unten, und die Tür gab nach, schauerlich quietschend. Der schwarze Widder schlüpfte lautlos wie sein eigener Schatten hindurch und schob die Tür mit dem Kopf sorgfältig wieder zu. Nicht zum ersten Mal war er über die grässliche Zeit beim Zirkus froh.
    Othello glaubte zuerst, in einem riesigen Gemüsegarten gelandet zu sein. Die Ordnung sprach dafür: gerade Wege und quadratische Parzellen, auch der Geruch nach frischer Erde und die unnatürliche Vegetation. Zweifellos hatte man hier etwas angepflanzt. Nur appetitlich roch es eigentlich nicht. Auf den Wegen bewegten sich mit kleinen Schritten menschliche Gestalten. Sie schienen von überall her zu kommen, aber ein Punkt zog sie magisch an. Von allen Seiten bewegten sie sich wispernd darauf zu.
    Othello versteckte sich hinter einem aufrecht stehenden Stein. Er fühlte sich unruhig, aber nicht wegen der Menschen. Es war der Geruch. Othello wusste jetzt mit Sicherheit, dass er nicht in einem Gemüsegarten war. Vielleicht war es sogar das Gegenteil eines Gemüsegartens. Ein sehr alter Geruch trieb mit dem Nebel über die Kieswege, die Parzellen und die vielen Steine. Othello dachte an Sam. Sam war ein Mensch im Zoo gewesen, so dumm, dass sich sogar die Ziegen über ihn lustig machten. Aber Sam war von der Zooverwaltung zum Herren über die Grube ernannt worden. Die Grube lag im Niemandsland hinter dem Elefantenhaus, und Othello konnte selbst als Lamm verstehen, warum die Lider der Elefanten immer so rot und schwer herabhingen. Jedes Tier im Zoo wusste von der Grube. Wenn Sam von der Grube kam, ließen ihn die Ziegen in Ruhe, und die Augen der Aasfresser wurden schmal. Wenn Sam von der Grube kam, roch er nach altem Tod.
     
    *
    Es war Othellos erste Beerdigung, doch der Widder verhielt sich vorbildlich. Er stand schwarz und ernst zwischen den Grabsteinen, rupfte ab und zu ein Stiefmütterchen und lauschte der Musik und den Stimmen der Leute mit großer Aufmerksamkeit. Er sah den braunen Kasten heranrollen und roch sofort, wer in diesem Kasten lag. Er roch auch Gott, schon bevor dieser feierlich schwankend aus dem Nebel auftauchte. Gott sprach von sich selbst, und die dicke Kate weinte dazu. Schwarz wie Kolkraben schlossen

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