Glenraven
ich mit ihm nach D.C. zu diesem Kongreß fahre. Er ist total aufgekratzt und glücklich. Er schien zu glauben, daß es mich ebenfalls glücklich machen würde, wenn ich mit ihm käme.« Sie schüttelte langsam den Kopf. »Vor ein paar Wochen hat er Pferde für uns gekauft.«
»Davon hast du mir nichts erzählt.«
»Ich mag nicht darüber reden. Er sagte, wir hätten das Reiten geliebt und daß wir wieder anfangen müßten zu leben. Er wollte, daß ich mit ihm ausreite.« Ihr Gesicht verdunkelte sich, als der Schmerz sie übermannte. »Er fragte mich, wie ich über ein Baby denken würde.«
Jay zuckte zusammen. »O mein Gott!«
»Als ob wir Karen ersetzen könnten.«
Jay kannte Mitch. Er war ein netter Kerl. Sophie war seine Sonne, seine Luft und sein Wasser. Er tat alles, um den Menschen, der sie vor der Tragödie gewesen war, wieder zurückzuholen. Jay konnte nicht glauben, daß er vorgeschlagen hatte, ein Baby als Ersatz für Karen zu bekommen - allerdings konnte sie verstehen, daß Sophie seine Worte so aufgefaßt hatte.
»Was hast du geantwortet?«
»Ich habe ihm gesagt, ich sei mittlerweile fünfunddreißig und daher zu alt, um noch Babys zu bekommen. Ich habe gesagt, wir hätten unsere Chance gehabt.« Sie senkte den Kopf und trat kräftig in die Pedale. Sie fuhr so schnell, daß Jay Mühe hatte mitzuhalten. Jay konnte Sophies Verzweiflung an ihren gebeugten Schultern und ihre Wut an ihrer steifen Haltung erkennen. Sophie sagte: »Der Grund, warum ich mich im Moment so mies fühle, ist nicht nur die Sache mit dem Baby, die Pferde, seine Reise nach Washington, oder daß er glaubt, mich wieder zu einer netten, glücklichen Mutter machen zu müssen. Es ist schrecklich, Jay, aber ich fühle mich so verloren. Ich weiß nicht mehr, ob ich Mitch noch liebe - oder ob ich überhaupt noch verheiratet sein will. Ich weiß gar nichts mehr. Ich glaube, deswegen wollte ich mit auf diese Reise - um etwas Raum zum Atmen zu haben.«
»Kinder… « Jay zuckte bei dem Wort zusammen. »Steven hat mich vor einigen Wochen darauf angesprochen.« Ihr Blick glitt über die Landschaft. Zu beiden Seiten der Straße erhoben sich die Berge majestätisch in den Himmel. Hinter jeder Kurve erwartete sie ein neuer, wunderbarer Anblick. Sie wünschte, sie könnte sich mehr auf ihre Umgebung konzentrieren. Sie wünschte, sie hätte weder Steven noch jenes verhängnisvolle Gespräch erwähnt. »Ich habe schon immer welche gewollt.«
»Ich weiß.« Sophie lächelte sie auf eine merkwürdige Art und Weise an. »Du hast früher viel darüber gesprochen. Eigentlich hatte ich erwartet, daß du es schon längst in die Tat umgesetzt hättest.«
»Ich auch.«
Sophie seufzte und rutschte ein wenig auf dem Fahrradsattel herum. Sie schaltete einen Gang herunter, als die Straße vor ihnen weiter anstieg. Jay folgte ihrem Beispiel.
Eine Zeitlang schwiegen beide. Jay betrachtete wieder die Landschaft und wünschte, daß sie nicht so allein mit ihren Gedanken wäre. Plötzlich sagte Sophie: »Ich muß es wissen… und ich… hatte bisher keine Gelegenheit… dich zu fragen… ich meine… bis jetzt jedenfalls.« Ihr Atem ging schwer von der Anstrengung. »Warum ausgerechnet Glenraven?«
Sie erreichten den Gipfel. Jay schaltete wieder in einen höheren Gang und grinste ihre Freundin an. Das Tal des Po war nun vollkommen aus ihrer Sicht verschwunden. »Ich wünschte, ich wüßte es. Als ich das Buch bei Baldwell fand, mußte ich es einfach tun. Ich mußte es.«
»Du mußtest es.« Sophie dachte einen Augenblick darüber nach. Sie nickte. Das ergab Sinn. »Mir ging es genauso.«
Jay deutete nach rechts zu einer kleinen Berghütte. An der Tür war ein kleines Schild mit der Aufschrift CAI angebracht. Der kleine Parkplatz neben der Hütte war leer. »CAI bedeutet Club Alpinisti Italiani«, erklärte sie Sophie. »Das ist die beste Adresse, wenn man einen Führer durch die Alpen sucht. Ich habe uns einen gebucht.«
»Dieses Ding ist eine Art… Amt?« Zwischen Sophies Augenbrauen bildeten sich wieder diese kleinen vertikalen Linien, als sie das Gebäude betrachtete.
Jayjay spürte eine leichte Übelkeit, als sie die Hütte betrachtete. »Diese Außenstelle ist wahrscheinlich nicht gerade ausgelastet - die Zentrale versicherte mir sogar, sie würde gar nicht existieren. Na ja, hier ist sie jedenfalls - genau wie es im Reiseführer stand.«
Der Kies knirschte unter ihren Rädern.
»Ich hoffe, es ist jemand zu Hause«, sagte Sophie. In ihrer Stimme
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