Glenraven
so gründlich getäuscht habe, kann ich über dieses mißratene kleine Ungeheuer wohl nichts Brauchbares mehr sagen.«
Yemus stand auf. »Sieh dir das an.« Er ging zum Tisch, auf dem seine Figuren noch immer aktiv waren. Er warf einen Blick darauf und stellte fest, daß Sophies Abbild wieder aufgetaucht war. Er deutete darauf. »Sophie ist hier. Siehst du sie?« Sie stand nur einen Augenblick still, dann begann sie zu laufen. Warrags jagten sie durch den Wald, und Kin rannten los, um ihr den Weg abzuschneiden. Sie fingen sie ein. Dann schleppten sie sie zu Aidris.
Yemus kauerte sich über die Tischplatte und flüsterte unverständliche Gebete. Matthiall legte ihm eine Hand auf die Schulter, ohne etwas zu sagen. Die beiden Männer, Machnan und Kin, wagten kaum zu atmen.
Aidris deutete mit einem Finger auf Sophie. Ein Bogen aus strahlendrotem Licht schoß daraus hervor, und Sophies Abbild sank zu Boden und blieb reglos liegen.
»Nein«, flüsterte Yemus.
»Nein«, sagte Matthiall.
Aber die reglose Gestalt lag zusammengekrümmt am Rande von Aidris Akalans Lager, und ein zarter schwarzer Nebel stieg um sie auf und hüllte sie ein.
Yemus fiel auf die Knie. »Nein.« Seine Stimme klang flehend. »Bitte nicht. Sie darf nicht tot sein.«
Er spürte, wie Matthialls Griff sich verstärkte und dann löste. »Es ist vorbei, ehe es angefangen hat. Wir haben verloren. Meine Omen sagten, daß wir nicht ohne die beiden gewinnen können.«
»Genau wie meine. Aidris gewinnt, und wir sind verloren.«
KAPITEL NEUNUNDFÜNFZIG
Sie war schon tot . Callion starrte in seine Seherglocke und hieb wütend mit der Faust auf den Tisch. Seine Omen hatten ihn davon überzeugt, falls er die Fremde Aidris vorwarf, würde sie soviel Verwirrung stiften, daß Aidris und ihre Lakaien nicht merkten, was er tat. Sie sollten eigentlich einige Zeit brauchen, um herauszufinden, was sie war. Noch länger würden sie versuchen, mit ihrer Hilfe zu ihm zu gelangen, ehe sie sie letztlich umbrachten. Er hatte vorgehabt, diese Zeit zu nutzen, um einen Pfad von seinem Reich zum Thronsaal von Cotha Faldan zu schaffen. Er schloß die Augen und verband sich mit dem Netz, das sein Reich umschloß. Jetzt konnte er nicht mehr an Cotha Faldan vorbei, ohne sie auf sich aufmerksam zu machen. Aidris arbeitete noch immer an seinem Tor, und sie kam ihm näher. Die Spruchmagie der Kin war langsamer und schwächer als die Kraftmagie der Aregen, ebenso wie die Lebensmagie der Machnan schwächer war als die Kinmagie. Jede Schöpferrasse hatte ihre Geschöpfe mit weniger Macht ausgestattet, als sie selbst hatte, um auf diese Weise die Kontrolle zu behalten. Theorie gut, Ausführung schwach, dachte er. Denn die ›schwächere‹ Aidris stand kurz davor, die Tür in sein privates Reich zu zertrümmern, und ihre schmierigen Horden würden hinter ihr herfluten und ihn durch ihre schiere Zahl überwältigen. Genau so, wie sie so viele der Aregen überwältigt und zerstört hatten.
Er hatte Sophie am Rand des Alfkindir-Lagers abgesetzt. Er hatte ein kurzes Aufflackern von Macht dabei verspürt, als er sein Reich verließ, aber diese Macht gehörte nicht zu Sophie. Sie verfügte ebensowenig über Magie wie ihre Freundin Jay. Die Macht ging von etwas anderem aus, etwas, das nicht zu ihr gehörte. Und als er an der Stelle, an der er Sophie hatte fallenlassen, nach der Quelle dieser Macht suchte, in der Annahme, daß er vielleicht versehentlich eins seiner Artefakte mit ihr geschickt hätte, entdeckte er nichts weiter als ein Buch, das Sophie bei sich hatte. Keine Kraftquelle - nichts, das er gegen Aidris Akalan verwenden konnte.
Er war wütend. Sophie hätte nicht so zerbrechlich sein dürfen. Aidris hätte nicht so tüchtig sein dürfen. Jetzt mußte er seine Pläne ändern, und das nur, weil diese beiden aber auch gar nichts richtig machten.
KAPITEL SECHZIG
frei ich bin frei ich bin frei
leichter als Luft - leicht wie Licht - schweben
niemand kann mich dazu bringen zurückzugehen,
zurück in die Dunkelheit, zurück zu den Schmerzen
frei ich bin frei ich bin frei
Mama?
frei ich bin frei ich bin frei
und nichts kann mir mehr weh tun…
Mama? Du bist hier? Jetzt schon?
Karen?
Die Leichtigkeit erfüllte sie noch immer, aber Sophie fühlte sich nicht mehr so schwindlig, so weit weg von Schmerz und Leiden. Die Stimme klang genau wie Karens, aber Karen war tot. Tot. Und Sophie stellte fest, daß der Schmerz zwar weit entfernt und verschwommen war, sie aber
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