Glenraven
angenehmen Wärme wich. Sie wollte nach einem Platz Ausschau halten, wo sie sich im Unterholz verstecken konnten. Der Sonnenschein auf ihrer Haut fühlte sich wunderbar an… und das Gefühl, beobachtet zu werden, war verschwunden.
»Sie können nicht weit sein«, sagte Jayjay. Sie richtete sich im Sattel auf und sah den Fluß hinunter, während ihr Pferd seinen Durst stillte.
Sophie blickte den Weg zurück, über den sie gekommen waren. Die Soldaten waren noch immer weit entfernt, aber sie näherten sich stetig. Sophie ließ auch ihr Pferd trinken. Sie riskierte zwar eine Kolik, weil die Tiere verschwitzt waren, aber vielleicht bot dieser Fluß für längere Zeit ihre letzte Gelegenheit, die Pferde zu tränken.
Nachdem die Pferde ihren Durst gestillt hatten, führte Sophie die Tiere wieder zurück auf den Weg. Später, dachte sie. Später könnt ihr so viel trinken, wie ihr wollt… wenn wir dann noch leben.
»Sophie?« In Jays Stimme schwang Panik. Sophie schnürte es die Kehle zu. »Was ist das?«
Sophie folgte Jays Blick - in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Sie sah nichts… dann merkte sie, daß Jay ein Geräusch gemeint hatte. Das Rauschen des Waldes hatte sich verändert. Sophie hörte die weit entfernten Stimmen von Männern. Sie klangen verängstigt. Und über den verzweifelt geschrienen Kommandos hörte sie…
»Wind«, sagte Sophie und runzelte die Stirn. »Im Wald?«
Um sie herum herrschte vollkommene Windstille, aber aus Richtung der Bäume war deutlich das Geräusch von Wind zu vernehmen. Es ergab keinen Sinn. Wind konnte es nur auf freiem Feld geben. Er konnte unmöglich in einen derart dichten Wald eindringen. Er konnte nicht.
Der Wind wurde immer heftiger. Das leise Rauschen wurde von kräftigeren Böen unterbrochen. Es klang wie Jammern.
Ein Mann schrie auf.
Die Pferde traten unruhig auf der Stelle und starrten zum Wald. Sie rollten mit den Augen und legten die Ohren an. Was auch immer dort vor sich ging, es beunruhigte auch die Tiere. Ein schlechtes Zeichen.
»Ich denke, wir sollten uns auf den Weg machen«, sagte Jay.
Sophie stimmte zu… aber dann fiel ihr Blick auf einen Schwarm Glühwürmchen, der sich durch den Wald bewegte. Sie flogen ungefähr in Kopfhöhe. Es war eine regelrechte Schicht aus Glühwürmchen - wie ein fliegender Teppich, wunderschön… leuchtendes Gold und blasses Grün, das durch die Dunkelheit glitt. Sie funkelten wie Sterne, die vom Himmel gefallen und auf der Erde wiederbelebt worden waren. Sophie wollte, wollte, wollte zu ihnen laufen, sie sehen, berühren, mit ihnen verschmelzen…
Plötzlich packte eine Hand wie eine Adlerklaue nach ihrem Arm, und Sophie schreckte aus ihren Träumen hoch. »Wir müssen los… jetzt!« drängte Jay.
Sophie nickte traurig. Sie fühlte sich noch immer von diesem zauberhaften Licht angezogen. Ihr war elend zumute, nachdem ihre Freundin sie wieder in die Realität zurückgeholt hatte. Jay führte die Pferde in das niedrige Wasser des kleinen Flusses, und Sophie folgte ihr.
Einen Augenblick später wurde das Schreien zu einem fürchterlichen Jaulen. Inzwischen schrie nicht mehr nur ein einzelner Mann, sondern Dutzende. Sie heulten und kreischten… und manche lachten. Sie lachten - ein verrücktes, verwirrtes, glückliches Lachen. Sophie wußte, daß sie Zeugin eines Todeskampfes wurde. Diese Männer würden niemals mehr irgendwohin gehen. Sie waren dem Untergang geweiht.
Das Licht - Licht so lieblich wie die magische Schleppe Cinderellas in ihrem märchenhaften Gewand - das Licht, das Sophie verzaubert und verführt hatte, hätte auch sie getötet, wenn sie sich ihm genähert hätte. Davon war sie fest überzeugt.
Die beiden Frauen ritten durch das steinige Flußbett, so schnell sie konnten, und als das Schreien endlich verstummt war, hielten sie an.
Sophie ritt neben ihre Freundin und blickte ihr in die Augen. Sie sah ein Spiegelbild ihrer eigenen panischen Angst. Keine der Frauen sprach ein Wort. Dann ritten sie weiter - immer stromaufwärts. Jay und Sophie verhielten sich so still wie möglich und warteten ängstlich auf das leise Geräusch des Windes. Ihre Augen suchten die baumbestandenen Ufer nach dem Licht ab - dem Licht, das sie töten würde.
Werde auch ich von diesem… Ding getötet werden? fragte sich Sophie. Sie erschauerte. Der Gedanke an das Ende ihrer irdischen Existenz war ihr in den letzten Tagen gar nicht mehr so schlecht vorgekommen. Aber Sophie hatte den Tod nie wirklich akzeptiert. Sie
Weitere Kostenlose Bücher