Glenraven
sich ihre Lage in absehbarer Zeit bessern würde. Sie mußten alles Menschenmögliche tun, um sich zu schützen, solange sie Gelegenheit dazu hatten.
Wo Leben ist, da ist auch Hoffnung, dachte Sophie und erinnerte sich daran, daß sie seit Karens Tod nicht mehr gehofft hatte.
Na ja, vielleicht doch ein klein wenig, dachte sie.
Mit zunehmender Dunkelheit fühlten sich die beiden Frauen wieder beobachtet. Sie fanden einen geeigneten Lagerplatz am Ufer. Es war zwar keine richtige Lichtung, aber die Bäume waren hoch und alt, und der Schatten ihrer dichten Wipfel hatte den Waldboden vor jedem Bewuchs bewahrt. Jay und Sophie begannen sofort, ihr Lager vorzubereiten. Sie warfen ihre Taschen an die Stelle, wo sie das Zelt aufschlagen wollten, und banden die Pferde fest. Als die beiden Frauen begannen, Feuerholz zu sammeln, war die Furcht wieder zu einem physischen Druck geworden.
Die Pferde waren erschöpft. Sie mußten abgerieben, gestriegelt und gefüttert werden, damit sie sich ausruhen konnten. Unter normalen Umständen hätte sich Sophie zuerst um die Tiere gekümmert. Unter normalen Umständen. Aber jetzt fühlte sie sich von den unsichtbaren Augen des Waldes beobachtet. Die Pferde mußten warten.
Jayjay und Sophie blieben dicht beieinander, während sie in der näheren Umgebung ihres Lagerplatzes trockenes Holz aufsammelten. Keine von beiden sprach… bereits der Klang ihrer eigenen Stimme erschreckte Sophie.
Sie stapelten das Feuerholz neben ihrem Zeltplatz. Sophie schlug vor, noch einmal in den Wald zu gehen, damit sie wirklich genug Holz beisammen hätten. Jayjay stimmte zu.
Als sie erneut durch den Wald stapften, blies ein sanfter Wind gegen Sophies Wange. Sie erstarrte, und das Herz schlug ihr bis zum Hals.
»Wind, Jay«, flüsterte sie.
Jay hob den Kopf. Sie suchte die gesamte Umgebung ab - den Wald, das Ufer, einfach alles. Der Tag neigte sich endgültig seinem Ende zu, und die letzten Sonnenstrahlen wurden von der Finsternis des Waldes verschluckt. Jay war leichenblaß, und ihre Augen wirkten wie die schwarzen Höhlen eines Totenschädels. Sie räusperte sich - es klang mehr wie ein nervöses Husten, irgendwie… erstickt. »Vielleicht war es wirklich nur eine leichte Brise«, sagte sie. »Vielleicht haben wir abgeschüttelt, was auch immer die Soldaten getötet hat.«
»Vielleicht«, erwiderte Sophie mißtrauisch.
»Trotzdem glaube ich nicht, daß wir noch mehr Holz brauchen. Laß uns Feuer machen.«
»Ja«, stimmte Sophie zu. Sie rannten beladen mit Holz zurück zum Lager.
Sophie hob eine kleine Grube aus und füllte sie mit Holz, während Jayjay ihr Gepäck nach Streichhölzern durchsuchte. Sophie fand einen der kleinen Grillanzünder, die sie mitgenommen hatte. Sie haßte es, wenn sie hungrig war und das Feuer nicht in Gang kam. Deshalb hatte sie einem solchen Fall vorgebeugt. Noch nie in ihrem Leben war sie so froh gewesen, alles bis ins letzte Detail geplant zu haben. Innerhalb von zehn Minuten flackerte ein munteres Feuer in der kleinen Grube. Die rötliche Flamme wurde rasch größer und verbannte die Dunkelheit hinter einen Kreis aus Licht.
Sophie atmete tief durch. Der angstvolle Druck wurde ein wenig schwächer, als sie in das warme, vertrauenerweckende Licht blickte.
»Sollen wir weitermachen?« fragte Jay.
»Ich kümmere mich um die Pferde, während du das Zelt aufschlägst«, erklärte Sophie.
Jay nickte. »Wir könnten etwas Wasser zum Kochen gebrauchen.«
»Wir können kalt essen.« Der Fluß war zwar nicht sonderlich weit und nach dem einzelnen kurzen Luftstoß hatte der Wind sich wieder gelegt, doch selbst die Aussicht auf ein warmes Essen konnte Sophie nicht dazu bewegen, daß sie sich aus dem ungewissen Schutz des kleinen Feuers entfernte. Sophie befreite die Pferde von ihrem Zaumzeug und legte es auf einen Stapel neben dem Zelt. Dann rieb sie die Tiere ab, striegelte sie und kratzte die Hufe aus. Die Pferde hatten in den letzten Stunden ausreichend Gelegenheit gehabt, aus dem Fluß zu trinken, so daß sie die Nacht ohne Wasser verbringen konnten. Schließlich gab Sophie noch Hafer in die Futterkörbe und befestigte sie an den Halftern.
Während Sophie die letzten Handgriffe erledigte, hatte Jay das Zelt aufgebaut und das Gepäck verstaut. Jetzt saß sie am Feuer, hielt ihre Campingpfanne auf dem Schoß und schnitt kleine Streifen Frühstücksfleisch hinein.
»Willst du was?« fragte sie.
»Mit Vergnügen. Die Konserven wiegen bestimmt eine Tonne.«
»Ich hab’
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