Glenraven
Sophie verstummte. Eine Weile sagte keine der beiden Frauen ein Wort. Es war die Art von unangenehmer Stille, die das Knirschen der Sättel wie Schreien erscheinen ließ. Sophie stieß einen Seufzer aus und kaute auf ihrer Unterlippe.
»Vielleicht will er doch Kinder«, sagte Jay. »Männer ändern sich, wenn sie erst einmal verheiratet sind… oder vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall findest du erst hinterher heraus, wie sie wirklich sind.«
»Ich weiß nicht, was du von mir denken wirst, wenn ich dir das jetzt erzähle.«
Jay runzelte die Stirn. »Du bist meine beste Freundin. Nichts, was du sagst, könnte jemals etwas daran ändern.«
»Stimmt.« Schon wieder diese Platitüde, dachte Jay, die eigentlich genau das Gegenteil meinte. Sophie zuckte mit den Schultern. »Nun gut. Wenn wir lebend hier herauskommen und nach Peters zurückkehren sollten, dann wirst du es ja sowieso erfahren.« Sie seufzte. »Lorin ist eine Frau.«
Sophie hätte Jay nicht härter treffen können, wenn sie ihr einen Stein genau zwischen die Augen geschlagen hätte. »Du willst lesbisch werden?« kreischte sie.
Sophie blickte ihre Freundin verdutzt an und brach dann in schallendes Gelächter aus. Sie lachte eine ganze Weile weiter, und als sie endlich fertig war, standen Tränen in ihren Augen. »O Mann, Jayjay… das liebe ich so an dir. Du bist immer taktvoll.«
»Lorin, mmmh?«
»Lorin… das ist alles.«
Jay wußte nicht, was sie darauf erwidern sollte. Schließlich hob sie die Arme und zuckte resignierend die Schultern. »Das klingt jetzt vielleicht banal, aber… O Gott… ich hoffe, es ist das Richtige für dich. Was auch immer ›das Richtige‹ bedeuten mag.«
Sophie lächelte und schwieg. Jay bemerkte einen eigenartigen Ausdruck im Gesicht ihrer Freundin. Vielleicht ist es genau das, was ›das Richtige‹ bedeutet.
KAPITEL VIERUNDZWANZIG
Yemus Sarijann, der sich in Peters das Pseudonym Amos Baldwell zugelegt hatte, hob die Hand und bedeutete seinen Truppen anzuhalten. Er knurrte und starrte auf die kleine metallene Kugel, die in einem Drahtkäfig an seinem Sattelknauf befestigt war und ein beruhigendes Licht ausstrahlte. Es hatte sich nicht verändert, seit er und seine Männer entlang der Straße nach Reikstor ritten. Das verdammte Buch hätte sie eigentlich direkt zu den beiden Frauen führen müssen, wie ein Magnet. Die Kugel hätte heller scheinen sollen, wenn sie in die Nähe des Buches kam, und zu einem schwachen, rötlichen Flackern verblassen müssen, wenn sie sich wieder von ihm entfernte. Das verdammte Buch hätte Yemus direkt zu seinen Helden führen müssen.
Helden . Yemus hatte Lestovru, einen anständigen Mann und guten Soldaten, in den Tod geschickt, um die Ankunft seiner Helden in Glenraven geheimzuhalten. Die Retter der Machnan, die Retter der Magie - das Buch hatte sie dazu erklärt. Es hatte sie ausgewählt. Das verdammte Buch hatte ihn nach Peters, North Carolina, geführt, weit weg von seiner Heimat. Seine Herstellung hatte die gesamte Magie seines Volkes erfordert, und sie hatten ihm alles gegeben, was sie besaßen. Die Machnan hatten es gerne getan, denn sie blickten dem Untergang in die Augen. Sie hätten für die Hoffnung auf Rettung alles getan, was Yemus von ihnen verlangte.
Er hatte den Zauber mit äußerster Vorsicht gewirkt.
Yemus hatte ein Artefakt geschaffen, das die Form eines unleserlichen Buches besaß. Also hatte er den letzten Rest seiner magischen Energie noch dazu benutzt, einen Sprachenzauber zu wirken, und entdeckt, daß das Buch sich in einen Reiseführer verwandelt hatte, wie ihn die Menschen der Außenwelt verwendeten. Von diesem Augenblick an hatte das Buch seine weitere Vorgehensweise diktiert. Yemus hatte es aus Glenraven herausschaffen und über das Meer bringen müssen. Er hatte einen Ort finden müssen, wo er es ausstellen konnte - er würde spüren, wenn er einen solchen Ort erreicht hatte. Das Buch hatte Yemus befohlen, es auf ein Regal zu stellen, wo es sich sofort in eines der anderen unscheinbaren Bücher verwandelt hatte. Dort war es für lange Zeit geblieben… und hatte gewartet. Yemus wußte, daß in der Welt, die er zurückgelassen hatte, Freunde starben und die Magie langsam immer weiter abnahm, während er mit dem Buch beschäftigt war.
Als das verdammte Buch endlich seine - zugegebenermaßen merkwürdigen - Helden gefunden hatte, war Yemus in dem Wissen nach Hause geeilt, daß das Buch von nun an auch ohne ihn zurechtkommen würde. Daheim hatte
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