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Gletschergrab

Gletschergrab

Titel: Gletschergrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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von sich aus damit angefangen. Himmler wollte einen Waffenstillstand mit den Alliierten vereinbaren, um gegen die Kommunisten zu kämpfen; er rechnete damit, Regierungschef zu werden. Churchill ließ Pläne für einen Einmarsch in Russland mithilfe der Deutschen ausarbeiten. Und daraus ist dann wohl diese Idee entstanden. Die Nazis konnten keine Bedingungen für den Waffenstillstand stellen, aber sie konnten Vorschläge einbringen. Ich glaube nicht, dass die Initiative von den 311

    Generälen ausging, aber als sie über diese Idee nachdachten, schien sie ihnen gar nicht mehr so absurd, so abwegig. Und sie hatten ein historisches Vorbild, sie hatten Napoleon.«
    »Was hat Napoleon mit alledem zu tun? Warum Napoleon?«
    »Mehr kann ich nicht sagen, ich habe schon mehr als genug gesagt.«
    »Mehr? Sie haben überhaupt nichts gesagt!«
    »Ich weiß gar nichts. Ich habe die Akte nie zu Gesicht bekommen.«
    »Wovon reden Sie?«
    »Die Akte Napoleon. Ich habe sie nie gesehen. Ich habe nie gewusst, worin genau der Plan bestand.«
    »Von wem stammt sie?«
    »Mehr kann ich Ihnen nicht sagen, und Sie wollen auch gar nicht mehr wissen, glauben Sie mir. Sie wollen es gar nicht wissen. Niemand will es wissen. Es spielt gar keine Rolle mehr.
    Alles ist begraben und vergessen.«
    »Was?«
    Miller schwieg, schaute auf seinen Bruder hinunter, und Kristín sah wieder Tränen in seinen Augen. Am liebsten hätte sie ihn gepackt und so lange geschüttelt, bis er ausspucken würde, was er wusste. Sie verstand nicht, wovon er eigentlich sprach. Er wich immer wieder aus, und sie stand kurz davor, die Geduld zu verlieren.
    »Wie ist es Napoleon ergangen?«, sagte Miller auf einmal.
    »Ergangen? …«
    »Fragen Sie sich doch einmal, was mit Napoleon geschehen ist.«
    »Was mit Napoleon geschehen ist? Er starb isoliert im Exil auf der Insel St. Helena, das weiß doch jeder.«
    »Genau dasselbe haben sie damals auch gemacht.«
    312

    Kristín starrte den alten Mann fassungslos an.
    »Was sagen Sie da?«, flüsterte sie.
    »Das ist der Grund dafür, dass die Operation den Namen Napoleon erhielt.«
    »Napoleon?«
    »Ihm sollte gestattet werden, seinen Hund mitzunehmen.
    Einen deutschen Schäferhund, den er Blondie nannte. Sonst nichts. Mein ganzes Leben lang habe ich mich damit beschäftigt, aber nie irgendwelche Beweise gefunden. Ob es anfangs Bestandteil der Abmachungen mit dem deutschen Generalstab war, ihn am Leben zu lassen. Ob er den Alliierten überlassen wurde, um die Verhandlungen zu erleichtern. Ob es ein Wettlauf zwischen Engländern und Amerikanern auf der einen und den Russen auf der anderen Seite war, wer ihn als Erster zu fassen bekam. Oder ob vielleicht ganz andere Gründe dahinter steckten. Es war die letzte Hoffnung für die Deutschen, einen Keil zwischen die Alliierten zu treiben. Sie wussten, dass Churchill kein Freund der Russen war.«
    Miller machte eine kleine Pause.
    »Mein Bruder hätte ihn fliegen sollen«, sagte er dann.
    »Ihr Bruder?«, sagte Kristín.
    »Er wusste nichts davon. Er kannte nicht den eigentlichen Zweck dieser Reise. Ich wollte ihm bei unserem Wiedersehen davon erzählen, aber ich bekam nie die Gelegenheit dazu.«
    »Aber das ist doch grotesk«, sagte Kristín.
    »Ja, grotesk«, stimmte Miller zu. »In der Tat. Können Sie sich vorstellen, was passieren würde, wenn sich auf einmal herausstellte, dass wir ihm zur Flucht verholfen haben und er in amerikanischer Gefangenschaft war?«
    »Aber er ist doch den Russen in die Hände gefallen.«
    »Die Russen fanden die verkohlte Leiche eines Mannes, der Gott weiß wer hätte sein können, und diese Überreste sind 313

    verschwunden.«
    »Wo ist er dann hingeschafft worden?«
    »Ich habe die Akte nie gelesen. Ich weiß in Wirklichkeit nur sehr wenig. Es waren nur Pläne.«
    »Meinen Sie damit, dass sie nie zur Durchführung gelangten?«
    »Ich habe nicht die geringste Ahnung. Falls es geschehen ist, weiß ich nichts davon. Ich glaube nicht, dass es jemanden gab, der einen vollständigen Überblick über die ganze Operation hatte. Die Beteiligten bekamen nur das zu wissen, was sie wissen mussten.«
    »Aber Sie haben Eichmann erwähnt. Sie haben gesagt, dass ihr die Israelis mit Eichmann abgelenkt habt, als sie auf die andere Spur gekommen waren.«
    »Das ist nur eine Schlussfolgerung meinerseits«, sagte Miller, und Kristín spürte, dass er sich zurückzog, dass er auf der Hut war und glaubte, bereits zu viel gesagt zu haben, dass er nicht weiterreden

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