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Gletschergrab

Gletschergrab

Titel: Gletschergrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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vorüber war, würde er sich in den Ruhestand versetzen lassen.
    Dies war sein letztes Projekt, und es kam ihm so vor, als hätte er sein ganzes Leben lang darauf gewartet, es zu Ende bringen zu können. Einen Punkt hinter diese Marginalie aus einem Krieg zu machen, der in Vergessenheit geraten war und niemanden mehr interessierte.
    Einer von Carrs Leuten war an seine Seite getreten und beugte sich zu seinem Ohr hinunter.
    »Wir sind so weit«, sagte er »Lebt er noch?«, fragte Carr.
    »So gerade eben«, antwortete der Mann.
    »Habt ihr schon Maßnahmen eingeleitet, um die Akte sicherzustellen?«
    308

    »Das wird kein Problem. Sie ist unterwegs zu unserem Stützpunkt in Keflavík.«
    »Was?«
    »Wir haben es so eingerichtet, dass der Konvoi gestoppt und die Akte vernichtet wird. Das war es doch, was Sie wollten.«
    »Richtig.«
    »Was sollen wir mit Ratoff machen?«
    »Wir brauchen ihn nicht mehr.«
    »Wir haben da eine Idee.«
    »Ich will keine Einzelheiten wissen. Tut, was ihr tun müsst.«
    »Wir müssen die Walzen in Gang setzen und die Heckrampe öffnen.«
    »Wendet euch an den Piloten.«
    »Das wär’s dann also.«
    »Die Leichensäcke. Habt ihr die Leichensäcke kontrolliert?«
    »Nein.«
    »Es ist vielleicht auch nicht nötig. Im Laderaum ist es kalt genug, dass die Leichen keinen Schaden nehmen. Nicht, dass es eine Rolle spielen würde, außer vielleicht für Miller.«
    Carr verstummte.
    »Wo ist Miller?«, fragte er dann.
    »Ich habe keine Ahnung. Ich dachte, er wäre hier bei Ihnen.«
    »Er war eben noch hier. Sie sollten ihn besser finden.«
    »Yes, Sir. Übrigens habe ich einen Blick auf die Säcke geworfen, als die Maschine beladen wurde, alle sieben waren dabei.«
    Carr schwieg und blickte hinaus in die Finsternis. Der Mann war im Begriff zu gehen.
    »Sieben?«, fragte Carr.
    »Yes, Sir, alle sieben.«
    309

    »Sie meinen sechs.«
    »Nein, es sind sieben Säcke.«
    »Aber es waren doch bloß sechs Leichen auf dem Gletscher.
    Es hätten sieben sein sollen, aber einer ist nicht gefunden worden. Es müssen sechs Säcke sein.«
    »Es sind sieben Säcke, Sir.«
    »Aber das kann doch nicht sein. Warum sieben? Das kann einfach nicht stimmen.«
    »Davon weiß ich nichts, Sir, ich weiß nur, dass ich sieben Säcke gezählt habe.«

    »Das war das zweite Treffen mit den Nazis«, sagte Miller und schaute seinen Bruder an. »Es ging darum, die Flugroute zu testen, die Maschine, und die Kisten mit dem Gold und ein paar von den Nazis aus der Verhandlungskommission wegzubringen.
    Diese zwei Kisten dienten nur dazu, die Raffgier noch ein bisschen mehr anzuheizen. Sie mussten sich auf einen Ort in Argentinien einigen.«
    »Wer?«
    »Die Nazis.«
    »Waren sie auf der Flucht?«
    »Alle wollten sie fliehen. Erbärmliche Feiglinge alle miteinander.«
    »Viele sind nach Südamerika entkommen«, sagte Kristín und versuchte, Miller noch mehr zu entlocken. Sie fühlte sich in keiner Weise bedroht durch den alten Mann und hatte Ort und Zeit vergessen. »Adolf Eichmann, den haben sie doch in Argentinien geschnappt.«
    »Ich glaube eher, dass wir ihnen Eichmann überlassen haben«, sagte Miller.
    »Was meinen Sie denn damit?«
    310

    »Wir haben sie auf ihn angesetzt.«
    »Halt mal, was sagen Sie da?« Kristín starrte den Greis an.
    »Wir haben ihnen Eichmann in die Hände gespielt«, wiederholte er.
    »In die Hände gespielt?«
    »Die sind nicht kleinzukriegen, diese Israelis. Vor denen kann man nichts geheim halten. Als sie schon viel zu viel herumgeschnüffelt hatten und zu viel wussten, ließen wir es so aussehen, als führe die Spur zu Eichmann. Damit haben sie sich zufrieden gegeben. Ohne unseren Geheimdienst hätten sie ihn nie gefunden.«
    »Die Spur …?«
    »Die Deutschen waren nicht in der Position, Bedingungen für einen Waffenstillstand zu stellen. Sie waren vernichtend geschlagen, und es war nur noch eine Frage der Zeit, wann der Krieg zu Ende sein würde. Sie haben befürchtet, dass die Russen Berlin zuerst erreichen würden. Viele wollten sich in den letzten Kriegsmonaten auf unsere Seite schlagen, falls wir bereit wären, gegen die Russen zu kämpfen.«
    »Die Spur zu Eichmann?«, sagte Kristín wie zu sich selbst.
    »Aber auf was für einer Spur waren sie denn?«
    »Ein schwedischer Graf war der Mittelsmann zwischen uns und den Nazis«, sagte Miller, ohne auf ihre Frage einzugehen.
    »Er hieß Bernadotte. Vielleicht war er es, der diese Idee gehabt und in engstem Kreis präsentiert hat. Oder die Nazis haben

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