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Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Titel: Gletscherkalt - Alpen-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan König
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Handwerker. Er ging einmal um das Haus
herum, suchte nach Möglichkeiten, hineinzukommen oder wenigstens einen Blick
hineinwerfen zu können.
    Doch er fand nichts. Das Haus schien hermetisch abgeriegelt zu sein.
    »Fahren wir zurück«, sagte der Alte.
    Sie gingen die paar Schritte zum Auto, sahen sich noch einmal um,
irgendwie hatten sie alle ein ungutes Gefühl.
    »Da ist was faul«, sagte der Handwerker. »Ich könnte nicht sagen,
warum, aber ich spür, dass da was oberfaul ist.«
    Das Haus lag so still da. Dem Handwerker kam diese Stille vor wie
Friedhofsstille, wie Grabesstille. Das Haus ein Sarg.
    Sie waren erst vor ein paar Minuten angekommen. Doch in diesen paar
Minuten war die Sonne ein winziges Stück weitergewandert. Die Frontseite des
Hauses lag nun mehr im Licht als zuvor. Und nun zeigten Licht und Schatten,
dass die Läden des kleinen Fensters im Obergeschoss nur angelehnt waren.
    »Hinterm Haus liegt eine Leiter«, sagte der Handwerker und war auch
schon ums Eck, sie zu holen.
    Der Alte und die Frau hielten sie ihm, als er hinaufstieg zum
Fenster.
    So haben unsere Väter noch die Mädchen besucht, dachte er. Eine
amüsante Vorstellung. Doch nach Schmunzeln war ihm nicht zumute. Er fühlte sich
mehr als unbehaglich.
    Auch das Fenster selbst war nur angelehnt. Es war nicht groß, und er
hatte Mühe, sich hindurchzuzwängen. Dann stand er im Schlafraum, wo das Bett
unordentlich zurückgeschlagen war. Die Luft war schlecht, aber wenigstens lag
hier keiner. Innerlich hatte er damit gerechnet, auf einen Toten zu stoßen.
Herzschlag, Embolie oder dass der sich selbst umgebracht hatte und jetzt schon
tagelang da lag und schon stank.
    Doch da war keiner. Zum Glück.
    Das Unbehagen wurde der junge Mann aber nicht los. Im Gegenteil, es
schien sich noch zu verstärken, als er die Holztür öffnete und auf die Stiege
trat. Er verfluchte sich selbst, sich auf diese Sache eingelassen zu haben.
    Es stank.
    War es Verwesung? Keine Ahnung, dachte er. Eher nicht.
    Er hatte keine Erfahrung mit Toten. Verwesungsgeruch kannte er nur
von Mäusen, die in einem Lichtschacht verendet waren oder die im Winter in die
Falle am Dachboden gegangen waren, unbemerkt, und die im warmen Frühjahr dann
bestialisch zu stinken begonnen hatten.
    Anders, dachte er. Es stinkt nach … Es stinkt nach Scheiße und Urin
… und nach Bier stinkt es auch … und nach Gekotztem …
    Er stieg die Treppe hinunter, einige Stufen knarzten, dass er
beinahe darüber erschrak. Dann sah er Hellwage.
    »Verdammt, verdammt, verdammt«, sagte er und hörte seine Stimme und
seinen Atem, der laut und wie zitternd aus seinem Mund kam. Sein Herz raste. Von
draußen hörte er die Stimme des Alten. »Hey, was ist denn los? Hast du was
gefunden? Kannst du aufsperren?«
    Er sah zur Tür, da steckte kein Schlüssel.
    Der Mann hing an einem Seil, die Hände auf den Rücken gefesselt, der
ganze Körper völlig abnormal verwunden und verdreht.
    Und es stank, stank entsetzlich.
    Das Fenster! Er musste an dem toten Mann vorbei, musste durch die
von Bier, Urin und Erbrochenem nassen Stellen zum Fenster, musste es öffnen,
musste die Flügel der Fensterläden aufklinken, musste raus, musste ans Licht,
musste nur noch weg. Weg von hier!
    Er sah noch, dass der Mann im Gesicht ganz blau-violett war, dass
die Augen weit hervorgetreten waren und dass ihm weißer Rotz aus der Nase hing.
Alles andere geschah in Sekundenschnelle. Fenster und Läden aufgerissen und im
nächsten Moment auch schon rausgesprungen auf die erdige Terrasse, wo die
beiden alten Leute standen und ihn mit großen Augen anstarrten.
    Er ging keuchend in die Hocke. »Tot …«, sagte er kaum hörbar. »Tot …
umgebracht … tot … Hängt da drin … Es ist so fürchterlich …«
    Die Frau bekreuzigte sich und murmelte etwas von der »heiligen Maria
Muttergottes« und »Steh uns bei«. »Jetzt und in der Stunde unseres Todes.
Amen.«
    Der Alte aber – fünfundsiebzig war er bestimmt schon – turnte mit
erstaunlicher Behändigkeit durch das geöffnete Fenster ins Haus. Wie viele
Südtiroler bäuerlicher Herkunft war er zierlich, beinahe hager, und das war
natürlich hilfreich bei einer solchen Aktion.
    Die Frau betete leise. Der Handwerker richtete sich schwerfällig
wieder auf. Von drinnen war erst einmal nichts zu hören. Stille. Dann ein paar
Schritte und dann einen schwerer, dumpfer Schlag.
    Der Alte hatte sein Klappmesser aus der Tasche gezogen und den
Strick, an dem Hellwage hing, mit drei, vier

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