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Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Titel: Gletscherkalt - Alpen-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan König
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Wasser der
Wildbäche, das dort droben an manchen Stellen den Weg leicht überspülte, freute
sich auf die stäubenden Wasserfälle und auf die Ausblicke, die mit der
zunehmenden Höhe immer eindrucksvoller würden.
    Ich weiß gar nicht, ob ich wirklich wegen der Gletscher
hinaufsteige, dachte er. Na ja, zu dreißig oder vierzig Prozent schon …
    Er blieb stehen und schaute in den Himmel. Gutwetterhimmel. Ein
schöner Tag. Und danach eine kalte, klare Nacht.
    Er würde Luft bekommen, atmen können.
    Er sog die Luft ein, ganz tief, und die bösen Gedanken und die
Beklemmungen lösten sich ein wenig. Wie die Schmerzen im Kopf, die manchmal
verschwanden, wenn ihm seine Frau den Nacken massierte.
    Tinhofer war voller Hoffnung, dass die kommenden Tage Erleichterung
brächten. Dass die Kombination aus Alleinsein und Berglandschaft, aus Stille
und Luft und Natur wie eine Droge wirken würde.
    Er war längst süchtig danach.

10
    Es war das erste Zusammentreffen in großer Runde, seit Reinhold
Spiss tot aufgefunden worden war. Alle waren sie da: Schwarzenbacher, Marielle,
Pablo, die Beamten Hosp und Wasle, und sie saßen bei Anwalt Reuss im
lichtdurchfluteten Besprechungszimmer.
    Schwarzenbacher war in den letzten Jahren schon oft hier am ovalen
Glastisch gesessen. Er hatte sich, des Rollstuhles entledigt, die Stufen zur
Kanzlei hochgequält, hatte sich am Geländer hinaufgezogen und unwirsch jegliche
Hilfe abgelehnt. Heute war es nicht mehr ohne Hilfe gegangen, Reuss und Wasle
hatten ihn unter den Armen genommen und ihm hochgeholfen.
    Hinaufgezerrt haben sie mich, dachte er. Wie einen Sack
hinaufgezerrt.
    Er war wütend. Wütend auf sich selbst, auf die anderen, auf alles.
    Wahrscheinlich konnte er auch deshalb dem großen, mit wilden
Farbstrichen und schwarzen Pinselakzenten hingemalten Bild an der ockerfarbenen
Wand heute so gar nichts abgewinnen. Sonst hatte es ihn immer an treibenden
Jazz der Siebziger erinnert: Coryell, Hancock, Davis in seiner Fusion-Phase.
Jetzt ging es ihm auf die Nerven.
    Reuss ließ von einer Mitarbeiterin Kaffee bringen; Cola, Mineral und
Pago-Saftln standen ohnehin bereit.
    Schlecht sieht er aus, dachte Schwarzenbacher.
    Es war eigentlich längst mehr als ein Gerücht, dass Reuss’ Ehe am
Ende war. Immer scheiße, dachte Schwarzenbacher, aber besonders scheiße, wenn
Kinder da sind. Er wusste, dass Reuss eine Tochter und einen Sohn hatte. Wie
alt sie genau waren, wusste er nicht. Aber auf jeden Fall waren sie in einem
schwierigen Alter – oder kurz davor. Wahrscheinlich war das Mädchen schon in
der Pubertät …
    Was ihn aber vor allem ärgerte, war nicht so sehr die Reuss’sche
Trennungsproblematik, sondern vielmehr seine Furcht, der Anwalt könnte sich
ganz aus der Sache zurückziehen, das Interesse an den alten Fällen verlieren.
Und genau dieses Interesse war es ja, was Paul Schwarzenbacher und Dr. Reuss
verband. Und was ihm, dem auf den Rollstuhl angewiesenen Kommissar a. D., immer
wieder eine Aufgabe zuteilwerden ließ. Wahrscheinlich einer der wenigen Gründe,
warum er nicht irgendwo die Bremse seines Rollstuhls löste und in den Abgrund
raste. Zumindest noch nicht.
    »Es ist Ihr Fall, Herr Kommissar«, begann Reuss, der sich ein Glas
mit Mineralwasser einschenkte. »Wir haben eigentlich nichts damit zu tun, außer
dass der Anfang dieser Geschichte weit in der Vergangenheit liegt, wie das ja
bei den Steinschlagmorden auch der Fall gewesen ist. Dazu kommt mein spezielles
Interesse an der Sache: Frau Spiss, die Witwe des Unternehmers, hat mich nach
seinem Tod beauftragt, die Familie künftig juristisch zu betreuen. Das also ist
es von meiner Seite. Doch ich glaube …«
    Er nahm einen kleinen Schluck vom Wasser.
    »Ich glaube, es kann gar nicht schaden, wenn wir wie schon im
letzten Jahr wieder eine Allianz bilden: die Polizei …« Er sah erst Hosp und
dann Wasle an, dann schaute er zu Schwarzenbacher. »Nicht zu vergessen unser
Expolizist, der bekanntlich ein alter Reineke ist, und natürlich unsere
Bergsteiger, Marielle und Pablo.«
    Den beiden Letzteren nickte er freundlich zu. »Wie ihr wisst, habe
ich mich in den letzten Wochen aus allem ausgeklinkt, wo ich nicht unbedingt
erforderlich war. Alles, was ich im Augenblick weiß, ist, dass dieser Fall
immer größer wird. Wie Wasserkreise, wenn man einen Stein in den See wirft. Und
dass wir dem Zentrum keinen Schritt näher kommen. Habe ich recht?«
    Schwarzenbacher räusperte sich, als hätte er ein Pfefferkorn im Hals
stecken.

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