Gletscherkalt - Alpen-Krimi
Namen!«
Hellwage sah ihn an. Genau in die Augen sah er ihm.
»Ich muss nachdenken«, sagte er noch einmal. »Es ist so viel Zeit
vergangen. Ich habe mit Hunderten Fotografen zu tun gehabt. Es wird mir
einfallen, aber ich brauche ein bisschen Zeit.«
Es stimmte ja auch: Er wusste wirklich nicht mehr, von welchem
Fotografen das Foto damals gekommen war. Er wusste es nicht, doch er hatte so
eine vage Ahnung. Der würde er nachspüren müssen. Und er brauchte zugleich die
Zeit, um herauszufinden, ob es sich überhaupt noch lohnte, einen Namen
preiszugeben.
Ob es sich lohnt? Was für eine perfide Überlegung ich da anstelle,
dachte er. Doch musste er beinahe schmunzeln, als er weiter dachte: Warum
sollen ausgerechnet die letzten Überlegungen im Leben nicht auch perfide sein
dürfen …
Denn daran hatte er jetzt keinen Zweifel: dass er aus dieser
Situation nicht lebend herauskommen würde. Er wusste, wie der Mann aussah,
kannte seine Brutalität, er würde ihn beschreiben und wiedererkennen können. Er
wusste nicht, für was er konkret bestraft wurde. Es musste etwas mit dieser
Geschichte von der Brennerstraße zu tun haben.
So, wie er als Journalist früher eine gute Story geradezu hatte
riechen können, roch er nun den Tod.
»Halbe Stunde«, hörte er die Stimme des Mannes in seine Überlegungen
hinein. »Du hast halbe Stunde. Dann will ich Namen.«
Der Mann riss ihn von der Bank herunter, Hellwage stürzte ins Bier
und in die kleinen Scherben. Dass sie ihm mehrere kleine Schnittwunden
zufügten, spürte er gar nicht. Allzu sehr tobte das Inferno in seiner Brust,
und die Schmerzen pochten bis in den Kopf, bis in die Fuß- und in die
Fingerspitzen.
Der Weg zur Erlösung führte durch die Hölle.
Hellwage musste eine Abkürzung finden.
*
Hosp hatte die Information, die er von Schwarzenbacher erhalten
hatte, sofort in polizeiliche Aktivität übersetzt. Wenn auch nur das Geringste
dran war an den sich zunehmend verdichtenden Verdachtsmomenten, dann bestand
die Gefahr, dass Spiss’ Tod erst der Anfang war.
Der Chefredakteur, der damals beim »Tiroler Stern« die Verantwortung
trug, hieß Hellwage, ein deutscher Journalist, den es nach Innsbruck
verschlagen hatte. Es war leicht gewesen, das herauszufinden. Die Auskünfte,
die Hosp, Wasle und zwei weitere Kollegen bei der Redaktion, bei noch im Dienst
befindlichen früheren Mitarbeitern von Hellwage beziehungsweise bei solchen,
die sich wie er bereits im Ruhestand befanden, einholten, erbrachten das
Ergebnis, dass er ein sehr kompetenter Journalist und Redakteur gewesen war, er
war wertgeschätzt worden für seine fachliche Kompetenz, seinen journalistischen
Riecher und seine kaltschnäuzige Selbstsicherheit als Zeitungsmacher, aber auch
wegen seiner Neigung zur Cholerik gefürchtet. Er galt als unbestechlich, ließ
sich nicht beeinflussen und nicht manipulieren – allerdings war er
beeinflussbar, wenn es um die Steigerung der Auflage ging. Dann erwies er sich
als »Mann des Boulevards«, als Zeitungsmann des Sensationellen, des Klatschs
und des lockeren Umgangs mit den Fakten.
Schnell war Hellwages Wohnung in Innsbruck gefunden. Eine
Dreizimmerwohnung in einem Stadthaus unweit des Claudiaplatzes, wo er, wenn er
denn da war, unauffällig und ziemlich zurückgezogen lebte. Doch er war nicht
da.
»In der Redaktion gibt es niemanden, der noch Kontakt zu ihm hat«,
berichtete Hosp bei einem Telefongespräch mit Schwarzenbacher. »Hellwage muss
sich von allem, was mit seinem Berufsleben zu tun gehabt hat, völlig
zurückgezogen haben. Einige Kollegen wussten zwar, wo er wohnt, aber keiner hat
die Handynummer, keiner hat ihn in den Jahren nach seiner Pensionierung noch
mal getroffen. Ich meine, richtig getroffen, auf ein Bier oder einen Kaffee,
nicht nur zufällig auf der Straße.«
»Sonderbar«, sagte Schwarzenbacher.
»Aber das ist nicht das Hauptproblem. Das Hauptproblem ist, dass wir
nicht wissen, wo er sich aufhält. Wir haben eine Frau ausfindig machen können,
die sich in seiner Abwesenheit um die Wohnung kümmert. Sie gießt die Blumen,
bringt die Post rein, was halt so erledigt werden muss. Von ihr haben wir
erfahren, dass Hellwage in Südtirol ein Ferienhäuschen besitzt, wo er sich auch
die meiste Zeit aufhält. Im Schnitt ist Hellwage eine bis eineinhalb Wochen im
Monat in Innsbruck, die restliche Zeit in Südtirol.«
»Dann ist er jetzt also in Südtirol«, sagte Schwarzenbacher. »Habt
ihr ihn schon aufgesucht?«
»Hätten wir gerne. War aber
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