Glitzerbarbie
packen wir unsere Sachen und besteigen Sonntag den Katamaran, der uns beide zurück nach Hamburg bringt.
Ich muss dann weiter nach Berlin. Der Abschied ist wie immer schrecklich. Aber zum Glück bin ich ja am nächsten Wochenende wieder in Hamburg.
»Ich liebe dich«, sagt Roland zu mir und umarmt mich. »Vergiss das nicht! Ich will für immer mit dir zusammen sein!«
»Ich auch mit dir«, erwidere ich und meine es völlig ernst.
Noch nie in meinem ganzen Leben habe ich etwas ernster gemeint.
Roland geht, bevor der Zug aus dem Hauptbahnhof fährt. Diese Szenen finde ich immer furchtbar, wenn zwei Leute sich am Bahnhof trennen müssen. Die Frau fängt grundsätzlich an zu weinen, und wenn die Stimme aus dem Lautsprecher dann ruft: »Auf Gleis 3 fährt ein der ICE 671 aus Brüssel zur Weiterfahrt nach München«, klammern sich diese Menschen immer aneinander, als sollten sie für immer getrennt werden. Entsetzlich. Ich kann so was gar nicht ertragen. Aber am Allerschlimmsten sind die aneinander gereihten dramatischen Szenen in den Werbefilmen von »Merci«:
Du bist der hellste Punkt an meinem Horizont!
Du bist der Farbenklecks in meinem »Grau-in-Grau!«
Du bist das Hänschenklein in meinem Kinderlied!
Merci, dass es dich gibt!
(Frau und Mann rennen an einem Strand entlang und spielen Fangen. Dann erwischt er sie, und sie küssen sich in der untergehenden Sonne.)
Du bist das Rettungsboot auf meinem Ozean!
Du bist der Wirbelsturm in meinem Wasserglas!
Du bist in meiner Winterzeit der Sonnenstrahl!
Merci, dass es dich gibt!
(Familie sitzt im Garten vor einem Fachwerkhaus unter einer Ulme, weil die Großmutter ihren 75 . Geburtstag feiert. Plötzlich steht ein Mann Mitte dreißig mit einem Seesack auf dem Rasen. Es stellt sich heraus, dass er lange Jahre zur See gefahren ist und keiner wusste, ob und wann er wiederkommt.)
Du bist die Wasserflut für meinen Wüstensand!
Du bist der Fels, der in meiner Brandung steht!
Du bist in meinem Lieblingslied die Melodie!
Merci, dass es dich gibt!
(Das ist die Bahnhofs-Szene. Es regnet, und er oder sie muss wegfahren. Ich glaube, sie. Jedenfalls hält der Mann ihr noch eine Packung Merci an die Scheibe, und sie malt auf der von innen beschlagenen Scheibe mit dem Finger ein Herz.)
Die Macher dieser Werbefilme müssen während der Entstehungsphase kurz vor dem Suizid stehen. Ich zwinge mich, nicht an meine Freunde in Watzelborn zu denken.
Im Adlon angekommen, nehme ich ein Bad. Dann rufe ich mit Rufnummernunterdrückung bei Marius zu Hause an. Uschi geht ans Telefon und ruft fröhlich: »Hallo-ho!« Ich lege natürlich auf. Was sie wohl gerade machen? Es ist 17 Uhr. Bestimmt hat Uschi Tee gekocht und eine Duftkerze angezündet, und sie und Marius schauen sich eine Dokumentation über Diane Fossey und ihre Gorillas im Nebel an. Oder sie schmieden ihre komischen Hochzeitspläne. Wer wo sitzt und ob man Tante Trude
einladen muss, obwohl man sie fünfzehn Jahre nicht gesehen hat.
Ich telefoniere später noch mit Roland und gehe relativ früh schlafen.
Am nächsten Morgen stehe ich Punkt neun bei Strawberry auf der Matte. Alle sind schon da, und es herrscht das übliche Chaos.
Die Lockvögel sind schon unterwegs, und ich muss mich nun erst mal mit den Auftraggebern auseinander setzen, was sich als äußerst schwierig erweist, da sie unglaublich nervös sind.
Auftraggeber eins ist eine Frau Anfang fünfzig mit grauen Haaren und einer Wasserwelle. Sie heißt Gertrud. Ihre goldene, viel zu kleine Armbanduhr sitzt so eng am Handgelenk, dass ich die Befürchtung habe, dass die Hand nicht mehr durchblutet wird. Ihr Ehemann Horst, der nichts von seinem Glück weiß, ist laut Gertrud ein Hallodri, der jedem Rock hinterherschaut und nichts anbrennen lässt. Beweise hat sie dafür allerdings nicht. Aber: »Seit drei Jahren haben wir nicht mehr zusammen geschlafen«, erzählt sie böse. »Ich kenne doch meinen Horst. Früher sind wir aus dem Bett gar nicht herausgekommen! Und seit drei Jahren Funkstille! Wenn da nichts im Busch ist!«
Auftraggeber zwei: Ein Mann Anfang zwanzig, der seit zwei Jahren eine feste Freundin hat, die aber partout nicht mit ihm zusammenziehen will. Das macht Frederik stutzig. Auch er hat keine Beweise für ein mögliches Fremdgehen von Katharina, aber er vermutet das Schlimmste: »Für sie ist es ein ganz besonderer Kick, wenn wir Rollenspiele machen. Sie möchte zum Beispiel immer, dass ich sie für den Sex bezahle! Ich bin mir sicher, dass sie
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