Glitzerbarbie
Gewalt wachgerüttelt; wir waren ins Apartment getorkelt und auf dem Boden eingeschlafen. Ich wache auf, weil das Telefon im Zimmer mit einer Lautstärke klingelt, als sei auf Helgoland Fliegeralarm. Mühsam schleppe ich mich hin. Meine Augen brennen wie Hölle, weil ich natürlich meine Kontaktlinsen nicht rausgemacht habe. Es ist Sylvester aus Berlin.
»Carolin! Am nächsten Montag zeichnen wir den Piloten mit echten Kandidaten auf. Du MUSST nach Berlin kommen, komme da, was wolle. Es sind ganz klasse Kandidaten, und wir werden Daphne und Rebecca und die beiden Jungs voll zum Einsatz bringen! Frau Schneider hat dir schon einen Flug gebucht! Also, dass das klar ist, du kommst am Montag um 12 Uhr hierher, und wenn du nicht kommst, lasse ich dich abholen!«
»Ich komme ja, Sylvester«, krächze ich in den Hörer. Oh, oh, wie soll das nur alles gehen. Ich muss ja auch noch den Umzug nach
Hamburg organisieren. Wann soll das denn alles über die Bühne gehen? Wo sind überhaupt meine Möbel?
Es ist schon so schlimm mit mir geworden, dass ich tatsächlich nicht mehr weiß, wo sich meine Möbel befinden.
Als ich auflege, klingelt das Telefon wieder. Es ist ein Mitarbeiter der Kurverwaltung, der in den Hörer schreit, dass das ja wohl gestern eine Frechheit gewesen sei, was mein Lebensgefährte sich da an der Kurmuschel mit dem armen Herrn Fett geleistet habe. Herr Fett sei mit den Nerven am Ende und ein emotionales Wrack. Herr Fett wird Klage erheben, o ja, das wird er tun, der Herr Fett. Und er, der Herr Bommel aus der Kurverwaltung, gibt dem Herrn Fett Recht. Das gehe doch nicht, dass jemand einfach einen Saisonmitarbeiter huckepack nimmt und mit ihm in die Nordsee springt. Wo der Herr Fett doch a) nicht schwimmen kann, b) sich den linken Hodensack beim Aufprall auf das Wasser gequetscht hat und c) annimmt, dass Schäden psychischer Art bei ihm zurückbleiben werden. Herr Bommel aus der Kurverwaltung redet sich in Rage. »Unverzüglich kommt Herr Dunkel zu uns ins Büro«, schreit er mich an. »Wir werden ein Protokoll aufnehmen, und dann wird das Ganze der Polizei übergeben!«
Ich lege einfach auf. Mein Kopf dröhnt, ich habe einen solchen Kater, dass ich das Gefühl habe, nie wieder normal denken und handeln zu können.
Roland wird wach und fragt, wer denn da am Telefon gewesen sei. Auf meine Antwort, dass die Kurverwaltung Klage erheben möchte, grummelt er lediglich: »Die können sich gehackt legen«, und schläft weiter.
Mein Steißbein tut immer noch vom Aufprall auf den Felsen weh, und ich fühle mich, als sei ich von vier Pferden, die dafür haben sorgen sollen, dass ich gevierteilt werde, in doppelte Länge
gezogen worden. Die Pferde waren nämlich zu schwach, um mich auseinander zu reißen. Lediglich meine Knochen haben sie mir alle gebrochen.
Roland geht natürlich nicht in die Kurverwaltung, nachdem er endlich aufgestanden ist. »Wenn die was von mir wollen, sollen die zu mir kommen«, sagt er böse. »Seit wann kommt der Knochen zum Hund?«
Die nächsten Tage verbringen wir relativ ruhig. Es ist unglaublich, wie wohl ich mich in Rolands Nähe fühle. Er ist wieder völlig ausgeglichen. Wir können sogar zusammen schweigen.
Das ist mir noch nie passiert. Sonst habe ich immer das Bedürfnis, ununterbrochen zu reden.
Trotzdem bin ich sehr böse, dass Marius und Uschi einfach so heiraten. Nach so kurzer Zeit. Und dann noch die Dreistigkeit zu haben, MICH einzuladen. Also wirklich. Das ist pietätlos.
Roland sieht das alles ganz gelassen: »Ihr habt einfach nicht zusammengepasst«, sagt er beschwichtigend. »Stell dir vor, ihr hättet geheiratet, und in der Hochzeitsnacht hätte sich herausgestellt, dass er sich die ganze Zeit verstellt hätte. Eine Bekannte von mir hat eine Woche nach der Hochzeit herausgefunden, dass ihr Mann hochgradig pervers ist. Er hat beim Sex plötzlich gerufen: ›Gib mir Tiernamen, aber böse!‹«
Das verstehe ich nicht. »Was sind denn böse Tiernamen?«, frage ich.
»Keine Ahnung«, Roland überlegt. »Vielleicht Erdhörnchen oder Alligator. Obwohl das auch nicht wirklich böse Tiernamen sind.« Ich überlege krampfhaft, was böse Tiernamen sind, aber mir fällt nichts dazu ein. Na ja, bin ich wenigstens abgelenkt.
Die Zeit vergeht wie im Flug, und schon ist die Woche vorbei.
Mir graut vor Berlin und vor den Aufzeichnungen und vor
Daphne und Sylvester und Felix und überhaupt. Aber ein Vertrag ist nun mal ein Vertrag, und der will erfüllt werden, also
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