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Glück, ich sehe dich anders

Glück, ich sehe dich anders

Titel: Glück, ich sehe dich anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Ahrens
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langen Gang bis zur Tür, hinter der sie Louise vermutete. Sie ging langsam und schaute dann vorsichtig um die Ecke in den Aufbahrungsraum, dorthin, wo Louise gelegen hatte: »Oh, oh, Louise ist weg. Louise aufgestanden?« Dann verlangte sie vom Bestatter: »Du mal die andere Tür aufschließen!« Da niemand dort aufgebahrt war, durfte Loreen auch in diesen Raum hineinsehen. Sie suchte förmlich jeden Raum ab und sah sogar in dem kleinen Raum, wo Vasen, Kerzen und anderes stehen, in sämtliche Schubladen. Dann war es gut. Sie kam wieder hinaus. Fortan erzählte sie mir jeden Morgen, dass Louise aufgestanden und nun weg sei. Das Haus sei leer.
    Aber wie kommt Louise nun in den Himmel? Ich überlegte mir etwas. Ich bastelte Loreen ein Buch mit den Fotos der Kapelle. Louise war zu sehen, wie sie in der Kapelle lag und schlief. Loreen war zu sehen, wie sie Louise in der Kapelle besuchte, sie küsste und sie anschaute. Auf den weiteren Bildern malte ich Louise zarte goldene Flügel. Auf einem Bild habe ich sie mit ihren goldenen Flügeln in den Himmel auf eine Wattewolke gesetzt. Dann habe ich ein Bild mit der leeren Kapelle eingeklebt. Auf den hinteren Seiten ist Louise jeweils oben im Himmel auf ihrer Wolke mit ihren Flügeln zu sehen, und unten ist Loreen zu sehen, wie sie im Sommer mit Mama und Papa einen Ausflug macht, wie sie im Schwimmbad mit Mama badet, wie sie im Garten spielt – allein ohne Louise. Und Loreen verstand es. Sie erzählte mir eine Geschichte:
    Louise ist eingeschlafen. Loreen besucht Louise. Louise Flügel. Louise Haus ist leer. Louise weg. Louise Wolke Himmel. Louise oben. Loreen unten.
    Irgendwann telefonierte ich mit einer Freundin. Loreen saß neben mir und sah sich ein Buch an. Am Telefon erzählte ich meiner Freundin, dass Loreen ganz anders sei als Louise. Louise sei so unendlich dankbar gewesen und habe jede Kleinigkeit genossen. An Loreen aber komme man nicht immer heran, beinahe unnahbar erscheine sie mir manchmal. Sie sei oft verträumt und mache einen so zarten Eindruck. Ich erzählte ihr, dass ich mir wünsche, Loreen hätte mehr von Louise. Ich erzählte ihr, dass Louise immer morgens zum Frühstück heruntergekommen sei und dann vor dem gedeckten Tisch gestanden und sich über Butter, Eier, Käse und Marmelade gefreut habe. Ich sagte ihr, dass Loreen das gar nicht mache und dass ich das sehr vermisse.
    Am nächsten Morgen rief ich Loreen zum Frühstück. Sie kam die Treppe hinunter, und als sie die Küche betrat und den gedeckten Tisch sah, schaut sie mich innig an und sagte: »Mama, wunnerschön, wunnerschönes Früsück!«
    Loreen ist reifer geworden. Ihre Höflichkeit lässt mich oft staunen. Sie fragt mich: »Entschuldige, darf ich zum Schwimmen fahren?« Auch im Umgang mit Fremden ist sie sehr höflich. Wir stehen vor der Kasse des Schwimmbades. Sie erkundigt sich bei der Kassiererin: »Entschuldigen Sie, ja also, ahm, hat das Schwimmbad heute auf?« Auch fragt sie sehr freundlich, ob sie etwas naschen oder etwas trinken darf.
    Loreen ist sehr offenherzig, besitzt eine großartige Kontaktfreudigkeit und eine umwerfende Herzlichkeit. Wenn ich mit Loreen in den Supermarkt gehe, spricht sie alle Leute an, begrüßt jeden Einzelnen persönlich und außerordentlich freundlich. Sie fragt dann: »Wer bist du denn? Wie heißt du denn? Was kaufst du ein? Geht es dir gut? Einen schönen Tag!« Sie erklärt: »Ich bin Loreen. Ich kaufe hier mit Mama ein.« Und so weiter und so weiter. Wenn wir dann an der Kasse stehen, verabschiedet sie ALLE Leute, die sie im Supermarkt kennen gelernt hat, mit Handschlag und nennt sie beim Vornamen, wenn sie sie weiß.
    Sie lädt die Leute sogar zum Grillen zu uns ein oder auf ein Eis. Sie bietet ihnen an, in unser Haus zu kommen und auch in unser Auto einzusteigen.
    Es ist wirklich eine Freude, ihre Freundlichkeit zu sehen. Aber ich habe deshalb auch manchmal Angst um sie. Sie legte eine sehr vertrauensvolle Art gegenüber Fremden an den Tag. Es kam vor, dass sie wildfremde Menschen umarmte und küsste. Einmal stieg sie zu einem Unbekannten in das Führerhäuschen eines Lastkraftwagens, als sie draußen spielte. Der Mann lieferte bei unserem Nachbarn Sand an. Wir redeten ihr mehrmals zu, dass sie so etwas nicht machen darf, und baten auch die Menschen, nicht so vertrauensvoll auf sie zu reagieren. Loreen begriff das erstaunlich schnell. Sie antwortete auf Fragen, wo sie wohnt, ganz frech: »Zu Hause!« Wenn die Menschen dann wissen wollten, wo das denn

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