Glück, ich sehe dich anders
zu.
Ich konnte mich gar nicht recht damit abfinden, dass in diesem Behälter Louises Asche war. Wenn man nicht genau gewusst hätte, was es war, hätte es auch eine Dose Eierravioli ohne Etikett sein können.
»Diese Aschenkapsel wird später in die Urne gesetzt, die Sie sich ausgesucht haben«, sagte Herr Ramcke. Und auf meinen fragenden Blick fügte er hinzu: »Ich stelle die Kapsel jetzt auf meinen Beifahrersitz, und dann fahren wir zurück!«
Ich war beruhigt. Achim Ramcke war unglaublich einfühlsam. Es war mir alles recht, wie er vorging und handelte. Außerdem tat er fast immer kurze Zeit später genau das, was ich mir im Innersten gewünscht hatte.
Am nächsten Tag war die Beerdigung. Für uns war mit dem Zeitpunkt der Einäscherung klar, dass Louise nun körperlich endgültig aus unserem Leben gegangen war. Wir setzten uns bereits eine Stunde vor Beginn des Gottesdienstes in die erste Reihe der Kirche. Der Küster und der Bestatter hatten alles liebevoll vorbereitet. Fotos von Louise aus dem vergangenen Jahr waren auf einer Tafel angeordnet. Daneben war der Ständer mit der Urne und dem Blumenschmuck. Sämtliche Kränze mit bestickten Schleifen lagen darum herum. Darauf standen liebevolle Schriftzüge. »Für unseren Stern von Opa Wolfgang, Oma Hannelore, Sammy und Matthias.«
Die Schleife von Oma Karin und Opa Rolf zierte eine goldene Rose. »In Liebe von Mama, Papa und Loreen« hatten wir auf die Schleife unseres Blumenherzens sticken lassen. Eine abgedruckte schwarze Rose war neben dem Schriftzug »von deinem Bürgermeister und seiner Frau Hillary«. So hatten wir mit Louise und unserem Bürgermeister und seiner Frau Marlene oft gealbert, »Hillary« wie die ehemalige amerikanische First Lady.
Rechts neben der Urne war auf einer Holzunterlage ein Stern aufgezeichnet, den die Trauergäste mit brennenden Teelichtern füllen sollten. Nach und nach kamen sie und zündeten jeder eine Kerze an und stellten sie auf die Unterlage. Als alle eine Kerze angezündet hatten, war der Stern gefüllt. Er leuchtete hell. Auf der Urne leuchtete ebenfalls ein Stern. Es war ein Bild mit einem langen Weg und einer Treppe am Ende des Weges. Auf der obersten Stufe ging ein leuchtender Strahl Richtung Himmel ab, der weiter oben zu einem leuchtenden Stern wurde. Die Kirche war voll. Die Familie, die Freunde, die Bekannten, die Nachbarn, die Therapeuten, die Erzieher aus dem Kindergarten und viele Kinder kamen. Die Krankengymnastin, die Krankenschwestern der Station und die Labordamen der Ambulanz sowie der Musiktherapeut Gerhard von der Kinderstation, die Louise alle so sehr mochten und die Louise mit ihrem Charme ebenfalls in ihr Herz geschlossen hatten, waren auch dabei. Sie verewigten sich im Kondolenzbuch der Kirche. Louises Gerd spielte zwei Lieder, die er immer mit Louise gesungen hatte.
Unsere Pastorin, die Rolf und mich getraut und Louise getauft hatte, kam aus ihrer Gemeinde, um für uns den Gottesdienst abzuhalten. Wir sangen das Lied Weißt du, wie viel Sternlein stehen? Wir hatten dies auch zu Louises Taufe gesungen. Unsere Pastorin hielt die Rede, so wie wir es besprochen hatten, eine Rede für ein ganz besonderes, mutiges, hübsches, umwerfendes, lebenslustiges Mädchen. Für unsere Louise.
Ich hatte ebenfalls eine Ansprache vorbereitet, ich sagte etwas für Louise und alle Anwesenden. Das war ich Louise schuldig.
In diesen Tagen sprechen mich Menschen an mit den Worten: »Mein herzliches Beileid.« Im gleichen Atemzug sagen sie: »Das Kind ist endlich erlöst. Von seinen Qualen und den Schmerzen und der Krankheit. So ist es besser!«
Nein, es ist keine Erlösung von dem, was gewesen ist. Wer Louise im Krankenhaus oder zu Hause erlebt hat, der weiß, wovon ich jetzt spreche.
Louise war ein tapferes, kluges, starkes Mädchen, das wir uns alle zum Vorbild nehmen können. Sie war stets vergnügt und gut gelaunt. Ging es ihr einmal schlecht, hat sie artig in ihrem Krankenhausbett gelegen und es einfach so ertragen. Sie hat ihre Schmerzen nur kurz geäußert und danach artig gespielt oder einen Film angesehen. Natürlich gab es auch Tage, an denen sie von den Medikamenten depressiv war. Sie war dann auch mal bockig. Aber sie hat uns trotzdem ihren Daumen entgegengestreckt, und ihre Augen strahlten. Sie hat uns damit signalisiert, dass alles in Ordnung ist. Selten hat sie geweint vor Schmerzen. Sie hat sich nicht gequält. Das weiß ich. Vielleicht ist es eine Erlösung von dem, was gekommen wäre. Vorgestern
Weitere Kostenlose Bücher