Glück muß man haben
ihn besser als du. Er ist nicht so stabil, wie er aussieht. Solche Auftritte gefährden seine Gesundheit. Leider häufen die sich in letzter Zeit. Das hat es doch früher nicht gegeben.«
»Weil ich zu allem ja und amen gesagt habe.«
»Niemand von uns hat das je von dir verlangt, und niemand verlangt es heute von dir.«
»Mutter«, sagte Marianne, »lassen wir das. Ich weiß genau, was die Atmosphäre in unserer Familie verändert hat. Aber Vater irrt sich – und auch du, Mutter, irrst dich –, wenn ihr zwei vielleicht glaubt, daß sich der alte Zustand je wieder herstellen läßt.«
Sabine blickte hilflos um sich, sie seufzte noch einmal.
»Und alles nur wegen dieses Menschen«, sagte sie. »Dabei weißt du nicht einmal, was er macht.«
»Doch, das weiß ich jetzt.«
»Ja? Was denn?«
»Er arbeitet bei Storm.«
»Bei Elektro-Storm?«
»Ja.«
»Als was?«
»Als Elektriker natürlich.«
»So natürlich ist das gar nicht. Die haben ja auch Hilfsarbeiter und Kraftfahrer und solche Leute.«
Bei Marianne sträubte sich schon wieder das Fell.
»Und du tippst selbstverständlich auf Hilfsarbeiter.«
Für Sabine hätte sich Vorsicht empfohlen, doch sie erwiderte: »Elektriker ist ja auch nicht das Tollste.«
»Aber Gastwirt!« kam es knallhart aus Mariannes Mund.
Schweigen breitete sich aus im Wohnzimmer, bis Mutter Sabine wieder zu stricken anfing und das leise Geräusch der Nadeln vernehmlich wurde. Mein Gott, dachte sie, wenn das ihr Vater gehört hätte! Was ist nur in das Kind gefahren!
Wilhelm Thürnagel merkte schon nach kurzem, was Mariannes Eltern – vor allem der Vater – von ihm erwarteten: er möge möglichst bald wieder verschwinden. Das wurde ihm zwar nicht offen gesagt, aber er hätte die Haut eines Elefanten haben müssen, wenn er nicht gespürt hätte, wie sehr man ihn ablehnte. Bezeichnend war folgender Vorfall:
»Herr Thürnagel«, sagte Theo schon am zweiten Tag zu ihm, »bestehen Sie auf dem Frühstück?«
»Bestehen?« antwortete Wilhelm verwirrt. »Nein.«
»Gut. Für meine Frau wäre das nur eine Belastung. Der Zimmerpreis ermäßigt sich dadurch entsprechend.«
Was aber sagte dazu Marianne? Nun, zwei Tage lang bekam sie die Sache noch gar nicht mit, denn die Eltern sagten ihr nichts und Wilhelm schwieg ebenfalls. Doch dann kam sie ganz einfach von selbst dahinter, weil sie Wilhelm einen Blumenstrauß aufs Zimmer stellte und dabei seinen Frühstückseinkauf für die nächsten Tage entdeckte. Abends als er von der Arbeit kam, fragte sie ihn, was das zu bedeuten habe. Wohl oder übel mußte er es ihr nun sagen. Marianne wurde blaß, dann rot. Als Wilhelm das sah, meinte er rasch: »Du dich nicht aufregen. Mir das nichts ausmachen.«
»Aber mir!«
»Können ich besorgen mir Wurst und Käse oder Marmelade nach eigene Wahl.«
»Und wie kommst du zu etwas Warmem im Magen? Zu Kaffee oder Tee?«
»Nicht brauchen.«
Für Marianne kam das nicht in Frage.
»Jeder braucht etwas Warmes«, sagte sie. »Außerdem ist das überhaupt keine zusätzliche Belastung für meine Mutter.«
»Doch, ich das schon glauben.«
»Unsinn! Du bist ja nicht der einzige Frühstücksgast!«
»Aber der, der aufstehen früher als die anderen.«
Das war allerdings richtig. Wilhelm arbeitete nicht acht, sondern zehn Stunden am Tag und ging dadurch morgens schon sehr bald aus dem Haus. Daß das freilich nicht der wahre Grund dafür war, den Service für ihn einzuschränken, wußte Marianne genau, aber immerhin lieferte es den Vorwand dazu. Kurzentschlossen sagte sie: »Nun gut, dann mache ich das.«
»Was?«
»Deinen Kaffee.«
Daraufhin beteuerte Wilhelm erst recht, keinen Kaffee zu brauchen. Kaffee schade sogar seinen Magennerven, die ihn nicht gewöhnt seien. Sie müßte doch wissen, welche Rarität Bohnenkaffee in Rußland darstelle.
»Dann kriegst du Tee«, sagte Marianne.
»Dasselbe gelten für Tee.«
»So?« sagte Marianne und mußte schon fast wieder lachen. »Und was haben wir in jener Nacht auf deinem Zimmer getrunken? Wer hat mir erzählt, was er massenhaft aus Rußland mitgebracht hat? Wer bedauerte, daß er den Samowar zurücklassen mußte? Wer war das?«
Von nun an wurde also Wilhelm morgens von Marianne mit dem Nötigen versorgt. Als Mutter Sabine sah, daß sie – bzw. ihr Mann – dies erreicht hatte, hätte sie das Rad gerne wieder zurückgedreht, aber nun wurde das von Marianne abgelehnt.
»Laß nur, Mutter«, sagte sie, »das läuft jetzt schon richtig so. Ich könnte mir auch
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