Glück muß man haben
der Küche. Ob denn die Mädchen zufriedenstellend zurechtgekommen seien?
»Absolut«, erklärte Theo. »Und wie war's bei euch? Habt ihr alles gefunden, was ihr gesucht habt?«
Marianne war schon am Auspacken. Die erste Plastiktüte, die sie entleerte, enthielt zwei leichte Pullover. Während Marianne diese aus der Tüte zerrte und auf den Tisch legte, sagte sie: »Hier, sieh mal, an dich haben wir auch gedacht, Vater.«
»Kann ich brauchen«, nickte Theodor, einen der Pullover in die Hand nehmend. »Aber warum denn gleich zwei?«
»Nee, nee«, korrigierte ihn Marianne, »dir gehört nur der eine, den du schon in der Hand hast. Der andere wäre dir viel zu eng, sieh ihn dir doch an. Den deinen hat auch Mutter bezahlt.«
»Und den anderen?«
»Ich.«
»Für dich?«
»Nein, für Wilhelm«, erwiderte Marianne, ohne zu zögern, und lachte. »Nur du oder ein Blinder sieht nicht, daß das auch ein Herrenpullover ist.«
Den Stier bei den Hörnern packend, sagte Theodor: »Hoffentlich hast du dir vorbehalten, ihn umtauschen zu können?«
»Wieso? Die Größe stimmt, das weiß ich.«
»Aber der Empfänger ist nicht mehr da.«
»Was?« stieß Marianne hervor und schaute ihren Vater an, als hätte der irgend etwas Chinesisches gesagt, von dem kein Wort zu verstehen gewesen sei.
»Der ist ausgezogen«, sagte Theodor.
»Ausgezogen?«
»Ja.«
»Wieso denn? Wohin denn?«
Theodor beantwortete keine dieser beiden Fragen, sondern sagte: »Damit du gleich Bescheid weißt – ich habe ihn nicht ausquartiert!«
Mutter Sabine hatte sich auf den nächsten Stuhl niedersinken lassen. Sie hatte Angst vor dem, was kommen würde. Zum Zwecke der Vorbeugung schlug sie vor: »Soll ich uns nicht allen eine gute Tasse Kaffee machen? Ich muß sagen, darauf habe ich mich schon in der Bahn gefreut.«
Marianne schenkte ihr keine Beachtung und blickte nur ihren Vater an.
»Wenn du ihn nicht ausquartiert hast, was hast du dann getan?« fragte sie ihn.
»Siehst du«, wandte sich Theodor an Sabine, »sie fängt schon an. Sie glaubt nicht, daß das sein freier Entschluß war. Dabei schwöre ich, daß auch sie nicht überraschter als ich selbst hätte sein können, als er mit Sack und Pack die Treppe herunterkam.«
Marianne ging zur Tür.
»Wo willst du hin?« fragte Theodor sie.
»Auf sein Zimmer. Ich kann das nicht glauben.«
»Dann überzeuge dich selbst.«
Das einzige, was Marianne von Wilhelm noch vorfand, war das Geschirr und auch das Besteck für zwei Personen, das sie ihm geschenkt hatte. Beides lag – ohne eine Zeile Begleittext – auf dem Tisch.
Marianne ging wieder hinunter zu den Eltern, um das Gespräch mit ihrem Vater fortzuführen. In der Zwischenzeit hatte Theodor Sabine in groben Umrissen über das ins Bild gesetzt, was geschehen war.
»Vater«, sagte Marianne, »gib mir den Brief.«
»Welchen Brief?«
»Den Wilhelm für mich hinterlassen hat. Auf dem Zimmer ist keiner, also muß er ihn dir gegeben haben.«
»Du irrst dich, er hat mir keinen gegeben.«
Mariannes Miene wurde immer verständnisloser.
»Das ist unmöglich!«
»Glaubst du etwa, ich würde ihn dir unterschlagen?«
»Nein, das nicht«, besann sich Marianne, »aber …«
Sie verstummte und bekam feuchte Augen. Ihrer Mutter zerschnitt es das Herz, als sie das sah, und obwohl sich Sabines Interesse mit dem ihres Mannes deckte, fragte sie ihn: »Hat er denn auch nichts mündliches für sie hinterlassen?«
»Nein«, erwiderte Theodor, »obwohl ich ihn gefragt habe, was ich Marianne sagen sollte.«
»Du hast ihn das gefragt?«
»Ausdrücklich sogar.«
»Und seine Antwort?«
Zwischen Sabine und Marianne hin und her blickend, sagte Theodor: »Ich will es euch ganz genau schildern. Er bat mich, ihm ein Taxi zu rufen. Während ich telefonierte, setzte er sich auf einen Stuhl. Dann warteten wir. Ich bot ihm einen Schnaps an. ›Danke, nein‹, sagte er. Daraufhin ein Bier. Auch ›danke, nein‹. Als das Taxi draußen hupte, fragte ich ihn: ›Was soll ich Marianne sagen?‹ Seine Erwiderung war: ›Was Sie halten für richtig.‹ Wörtlich. Für mich hieß das: Das ist mir doch scheißegal!« Theodor hob die Arme. »Oder hättet ihr das anders verstanden?«
»Nein«, meinte Mutter Sabine mit unsicherer Stimme, unsicher deshalb, weil ihr klar war, daß sie damit auch noch zum Schmerz und zur Enttäuschung ihrer Tochter beitrug.
Marianne weinte in der kommenden Nacht ihre Kissen naß. Doch bis zum Morgen hatte sie sich leer geweint, und als es Zeit
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